Leitsatz
1. Die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 14 AO kann durch jeden mit dem Steueranspruch zusammenhängenden Erstattungsanspruch ausgelöst werden.
2. Der Erstattungsanspruch muss vor Ablauf der Festsetzungsfrist entstanden sein.
3. § 171 Abs. 14 AO ist für die Frage, ob ein Erstattungsanspruch besteht, im Sinne der formellen Rechtsgrundtheorie auszulegen.
Normenkette
§ 171 Abs. 14, Abs. 3, Abs. 10, § 37 Abs. 2, § 169 Abs. 2, § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 180, § 181 Abs. 5 AO, § 19 Abs. 1 BewG, § 1 Abs. 2, § 13 Abs. 1, § 27 GrStG
Sachverhalt
Die Klägerin war von 1993 bis 2007 Eigentümerin einer Liegenschaft, für die auf der Grundlage einer Einheitswertfeststellung auf den 1.1.1991 Grundsteuern festgesetzt wurden. Auf den 1.1.1994 und den 1.1.1997 ergingen im Dezember 2001 bzw. 2002 Einheitswertbescheide. Auf Grundlage dieser Bescheide sowie der entsprechenden Grundsteuermessbescheide setzte das FA für die Jahre 1994 bis 2004 höhere Grundsteuern als bisher fest. Die sich daraus ergebenden Differenzbeträge wurden vollständig entrichtet.
Die Einheitswertbescheide auf den 1.1.1994 und den 1.1.1997 und die entsprechenden Grundsteuermessbescheide hob das FA auf die Klage der Klägerin im Juli 2009 auf und erließ am 28./29.7.2009 auf diese Zeitpunkte erneut Einheitswertbescheide, denen Wirkhinweise nach § 181 Abs. 5 AO beigefügt waren, sowie entsprechende Grundsteuermessbescheide. Diese Bescheide wurden bestandskräftig.
Den im Juli 2009 gestellten Antrag der Klägerin, die auf den Einheitswerten/Grundsteuermessbeträgen auf den 1.1.1994 und 1.1.1997 beruhenden Grundsteuerbescheide für die Jahre 1994 bis 2004 aufzuheben, lehnte das FA ab. Die Klage blieb erfolglos (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 22.11.2017, Haufe-Index 11770904, 3 K 3052/15, EFG 2018, 1325).
Entscheidung
Der BFH gab der Revision der Klägerin statt und verpflichtete das FA zur Aufhebung der angefochtenen Grundsteuerbescheide. Die Bescheide seien wegen der im Juli 2009 erfolgten Aufhebung der Grundsteuermessbescheide auf den 1.1.1994 und den 1.1.1997 nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO aufzuheben. Die neuerlichen Grundsteuermessbescheide vom 28./29.7.2009 stünden dem nicht entgegen, da sie ihrerseits wegen Eintritts der Festsetzungsverjährung der Grundsteuer keine Änderungsverpflichtung begründeten. Die für die Grundsteuer geltende regelmäßige vierjährige Verjährungsfrist (§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO) sei für das letzte Streitjahr 2004 mit Ablauf des Jahres 2008 abgelaufen, für die früheren Streitjahre entsprechend eher. Die Verjährung der Grundsteuer sei weder nach § 171 Abs. 10 Satz 1 AO noch nach § 171 Abs. 14 AO gehemmt gewesen.
Hinweis
Der BFH befasst sich im Besprechungsurteil mit komplizierten Fragen der Festsetzungsverjährung bei der Grundsteuer, die sich aus der Dreistufigkeit des Verfahrens zu deren Festsetzung ergeben.
1. Das Verfahren zur Festsetzung der Grundsteuer vollzieht sich in drei Stufen:
Es besteht zweifach ein Verhältnis zwischen Grundlagenbescheid (i.S.d. Legaldefinition des § 171 Abs. 10 Satz 1 AO) und Folgebescheid. Der Einheitswertbescheid ist Grundlagenbescheid für den Grundsteuermessbescheid, Letzterer wiederum alleiniger Grundlagenbescheid für den Grundsteuerbescheid.
2. Diesem doppelten Verhältnis von Grundlagenbescheid zu Folgebescheid tragen die Anpassungsverpflichtungen Rechnung.
Nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO ist ein Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit ein Grundlagenbescheid (§ 171 Abs. 10 AO), dem Bindungswirkung für diesen Steuerbescheid zukommt, erlassen, aufgehoben oder geändert wird. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO enthält eine Änderungsvorschrift und ermöglicht insoweit die Durchbrechung der Bestandskraft des jeweiligen Folgebescheids, hemmt oder unterbricht allein jedoch nicht die Festsetzungs- oder Feststellungsverjährung des Folgebescheids. Das bedeutet, dass ein Grundsteuermessbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern ist, soweit ein zugrunde liegender Einheitswertbescheid erlassen, aufgehoben oder geändert wird.
Weiter ist ein Grundsteuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit ein zugrunde liegender Grundsteuermessbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern ist. Die Aufhebung eines Grundlagenbescheids bedeutet, dass die Wirkungen des Grundlagenbescheids rückgängig zu machen sind. Wird ein Grundsteuermessbescheid ersatzlos aufgehoben, ist folglich der Grundsteuerbescheid aufzuheben.
3. Ebenso berücksichtigt die Hemmung der Verjährung nach § 171 Abs. 10 Satz 1 AO dieses doppelte Stufenverhältnis.
a) Nach dieser Vorschrift endet, soweit für die Fe...