rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung bei bewusster Verschleierung der Identität des tatsächlichen Abnehmers der Lieferung
Leitsatz (redaktionell)
1. Es liegt kein Reihengeschäft nach § 3 Abs. 6 S. 6 UStG vor, wenn es an dem Nachweis der Liefereigenschaft des Zwischenabnehmers fehlt.
2. Wird die Identität des Abnehmers einer innergemeinschaftlichen Lieferung bewusst verschleiert, liegt keine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung vor.
Normenkette
UStG §§ 6a, 1 Abs. 1 Nr. 1, § 3 Abs. 5a, 6, §§ 3c, 4 Nr. 1b; FGO § 142 Abs. 1
Tenor
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
Diese Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei.
Tatbestand
I.
Die Antragstellerin begehrt Prozesskostenhilfe für einen Rechtsstreit, in dem sie sich gegen die Festsetzung von Umsatzsteuer auf innergemeinschaftliche Lieferungen (§ 6a des Umsatzsteuergesetzes – UStG –) wendet, deren Abnehmer ihr Gesellschafter-Geschäftsführer gegenüber der Finanzverwaltung absichtlich verschleiert hat.
Die Antragstellerin ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH), deren Unternehmensgegenstand seit Ende der neunziger Jahre des ausgegangenen Jahrhunderts im Handel mit gebrauchten Kraftfahrzeugen bestand. Alleiniger Gesellschafter der in X ansässigen und dort über ein Betriebsgelände zum Abstellen der gehandelten Gebrauchtwagen verfügenden Antragstellerin war spätestens seit April 2000 der im Jahre 1940 geborene portugiesische Staatsangehörige A, der zugleich auch allein die Geschäfte der Antragstellerin führte. Herr A war Anfang der sechziger Jahre des ausgegangenen Jahrhunderts nach Deutschland eingewandert, wo er zunächst nichtselbständig als Arbeitnehmer und später – seit Ende der siebziger Jahre – als Betreiber von Diskotheken und danach von Videotheken, eines Videogroßhandels und schließlich seit Anfang der neunziger Jahre als Gebrauchtwagenhändler unternehmerisch tätig war. Seine Geschäfte betrieb Herr A dabei in der Rechtsform mehrerer GmbH's. Nachdem Herr A auf diese Weise zunächst Mitte der neunziger Jahre etwa 100 bis 150 Fahrzeuge jährlich umgesetzt hatte, steigerte sich der Umfang des Unternehmens bis zum Jahre 2001 auf weit über 500 Gebrauchtwagen im Jahr. Die Lieferung der zumeist in Deutschland erworbenen Gebrauchtwagen erfolgte dabei zum weit überwiegenden Teil an Abnehmer in Portugal und – in erheblich geringerem Umfang – an Abnehmer portugiesischer Nationalität in Frankreich und Spanien
In den Streitjahren (2002 und 2003) täuschte Herr A die Finanzbehörden bezüglich großer Teile der Fahrzeugverkäufe der Antragstellerin nach Portugal über die Identität der Abnehmer. Dazu traf das Landgericht G später im Zuge eines gegen ihn geführten Strafverfahrens (Az.: …) aufgrund von dessen eigenem Geständnis und dessen „umfassenden und detaillierten Angaben” (Urteilsumdruck, S. 15) in objektiver Hinsicht und in Bezug auf die Motive des Herrn A für seine Handlungen folgende Feststellungen (Urteilsumdruck, S. 7 ff., im Wortlaut; Ergänzungen in eckigen Klammern vom beschließenden Senat):
„[Die Täuschungen über die Identität der Erwerber nahm Herr A vor,] um diesen in Portugal die Umgehung der Erwerbsbesteuerung zu ermöglichen […]. Auf diese Weise wollte er sich einen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Fahrzeughändlern verschaffen, um so beträchtliche Gewinne zu erzielen, was ihm auch gelang. […] Um den portugiesischen Käufern der Fahrzeuge die Umgehung der Erwerbsbesteuerung zu ermöglichen, installierte [Herr A] ein ausgeklügeltes System. Seine Vorgehensweise – auf welche [Herr A] durch seinen Geschäftspartner B gebracht wurde – war dadurch geprägt, dass die portugiesischen Abnehmer nicht (dauerhaft) aus den offiziellen Geschäftsunterlagen der [Antragstellerin] ersichtlich und damit kaum greifbar waren. Konkret agierte [Herr A] wie folgt:
In der Buchhaltung und der dazugehörigen Belegführung der [Antragstellerin] wurden Dokumente vorgehalten, die nicht den tatsächlichen Vertrags- und Lieferbeziehungen entsprachen. Dabei handelte es sich um Rechnungsdoppel, welche auf Anweisung des [Herrn A] durch seine Angestellten, hauptsächlich durch C, auf portugiesische Scheinerwerber ausgestellt wurden. Diese Rechnungen wiesen neben dem Kaufgegenstand, dem Kaufpreis sowie dem Scheinerwerber und dessen Umsatzsteuer-Identifikationsnummer jeweils den Zusatz ‚steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung § 6a UStG’ auf. Durch die Verwendung der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer und dem [sic] Hinweis auf § 6a UStG sollte dokumentiert werden, dass der angebliche Käufer den Umsatz in Portugal der Erwerbsbesteuerung unterwerfen wird. Außerdem sollte der Eindruck erweckt werden, das jeweilige in der Buchhaltung befindliche Doppel entspreche den Nachweispflichten des § 6a Abs. 3 UStG in Verbindung mit § 17a Abs. 2 Nr. 1 [der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung – UStDV –]. Gemäß den in seiner Buchhaltung aufbewahrten Dokumenten erklärte [Herr A] auch in den Umsatzsteuerjahreserklärungen der [Antr...