rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Änderbarkeit von Lohnsteueranmeldungen nach Übermittlung der Lohnsteuerbescheinigung wegen vom Arbeitgeber angemeldeter, tatsächlich aber nicht ausbezahlter Arbeitslöhne
Leitsatz (redaktionell)
1. War eine GmbH aufgrund erheblicher finanzieller Probleme für vor 2014 liegende Zeiträume nicht mehr zur vollen Lohnzahlung in der Lage, musste ihr deswegen ein Arbeitnehmer Teile seines Arbeitslohns mehrere Jahre lang notgedrungen stunden und wurde der gestundete Arbeitslohn letztendlich nicht mehr ausgezahlt, so können die Lohnsteueranmeldungen, in denen für den vollen, ungekürzten und damit auch für den nicht ausgezahlten Arbeitslohn Lohnsteuer angemeldet worden ist, nach § 164 Abs. 2 AO geändert werden.
2. Aus der bis zum 31.7.2014 geltenden Fassung des § 41 c Abs. 3 EStG ergibt sich keine Einschränkung der Änderbarkeit von Lohnsteueranmeldungen nach § 164 Abs. 2 S. 1 AO mit dem Ziel der Minderung der Entrichtungsschuld. Die zeitliche Beschränkung der Zulässigkeit der Änderung des Lohnsteuerabzugs bis zur Übermittlung oder Ausschreibung der Lohnsteuerbescheinigung in § 41 c Abs. 3 S. 1 EStG betrifft das Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer und nicht das Verhältnis zwischen dem Arbeitgeber als Entrichtungsschuldner und der Finanzbehörde (Anschluss an Urteile des FG Düsseldorf v. 28.1.2016, 16 K 3444/14 L, EFG 2016 S. 1094, v. 8.6.2016, 2 K 2541/15 AO, EFG 2016 S. 1791).
3. § 41c Abs. 3 S. 4 ff. EStG i. d. F. von Art. 2 des Gesetzes zur Anpassung des nationalen Steuerrechts an den Beitritt Kroatiens zur Europäischen Union und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom 25.7.7.2014 – Kroatien-AnpG – (BGBl 2014 I S. 1266) ist erstmals für nach dem 31.12.2013 endende Lohnzahlungszeiträume anzuwenden. Die darin enthaltenen einschränkenden Regelungen wirken nicht deklaratorisch, sondern konstitutiv.
Normenkette
EStG 2007 § 41c Abs. 3 Sätze 1, 3-4, § 11 Abs. 1 S. 1; AO § 164 Abs. 2, § 168; EStG 2014 § 52 Abs. 1 S. 2, § 41c Abs. 3 Sätze 4-5
Tenor
1. Unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 31. Oktober 2013 und der beiden Einspruchsentscheidungen vom 11. Juni 2014 und 17. November 2014 wird der Beklagte verpflichtet, die Lohnsteuer-Änderungsanträge der Klägerin vom 28. Februar 2013 und 1. März 2013 gemäß § 164 Abs. 2 AO in der Sache zu bescheiden.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Ermöglicht der Kostenfestsetzungsbeschluss eine Vollstreckung im Wert von mehr als 1.500 EUR, hat die Klägerin bzw. die Beigeladene in Höhe des vollstreckbaren Kostenerstattungsanspruches Sicherheit zu leisten. Bei einem vollstreckbaren Kostenerstattungsanspruch bis zur Höhe von 1.500 EUR kann der Beklagte der vorläufigen Vollstreckung widersprechen, wenn die Klägerin bzw. die Beigeladene nicht zuvor in Höhe des vollstreckbaren Kostenanspruchs Sicherheit geleistet hat.
Tatbestand
Mit der vorliegenden Klage macht die Klägerin geltend, dass wegen von ihr zwar angemeldeter, tatsächlich aber nicht an die Beigeladene ausbezahlter Löhne die Voraussetzungen für die Änderung unzutreffender Lohnsteuer-Anmeldungen gemäß § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) erfüllt seien. Im Streit stehen die Zeiträume März, April, September, Oktober und November 2010 sowie Januar 2011 bis Dezember 2012 (Streitzeiträume). Die Beteiligten stimmen mittlerweile darin überein, dass die Klägerin der Beigeladenen in den Streitzeiträumen in weitaus geringerem Umfang Löhne ausbezahlt hat als sie beim Finanzamt angemeldet hat. Das Finanzamt hält dennoch an seinem Klagabweisungsantrag fest, weil es die beantragte Änderung sowohl aus verfahrensrechtlichen Gründen wegen § 41c des Einkommensteuergesetzes (EStG) als auch aus materiellrechtlichen Gründen wegen einer seiner Ansicht nach zu bejahenden Novation ablehnt.
Die Klägerin ist eine im Jahr 2007 gegründete, heute nicht mehr aktive Gesellschaft mit beschränkter Haftung mit Sitz in X. Ihr nominelles Stammkapital beträgt x.xxx.xxx EUR. Anteilseigner sind laut Handelsregister die S GmbH mit Geschäftsanteilen von nominell insgesamt xxx.xxx EUR, die T Holding S.A. mit Sitz inLuxemburg und Geschäftsanteilen von nominell insgesamt xxx.xxx EUR sowie der […] Fmit Geschäftsanteilen von nominell insgesamt xx.xxx EUR. Wegen weiterer Informationen wrid auf die Vertragsakte, die Lohnsteuerprüfungsakten (Arbeitgeber) und den Handelsregisterauszug vom 21. August 2017 Bezug genommen (Gerichtsakte Bl. 454; vgl. zur S GmbH die Gerichtsakte Bl. 77).
Gegenstand des Unternehmens der Klägerin ist (bzw. war) […] (vgl. Gewerbe-Abmeldung vom 1. Oktober 2012, Lohnsteuerprüfungsakten Bl. 8). Die Gesellschaft ist laut Handelsregister aufgelöst. Durch rechtskräftigen Beschluss des Amtsgerichts Y vom xx.xx.2016 Az.: xxx (Gerichtsakte Bl. 314 ff., vgl. auch Bl. 401 ff.) wurde die vom Beklagten, dem Finanzamt, beantragte Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Ver...