Entscheidungsstichwort (Thema)

Für Kapitalgesellschaft in der Schweiz mit „Kollektivunterschrift zu zweien”, aber ohne Angabe einer Funktion im Handelsregister eingetragener, zivilrechtlich mindestens über die Vertretungsmacht eines Prokuristen verfügender Steuerpflichtiger als leitender Angestellter i. S. v. Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz. Auslegung von § 19 Abs. 2 S. 2 KonsVerCHEV

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz erfasst nicht schlechthin sämtliche „leitenden Angestellten” einer Kapitalgesellschaft, sondern einen abgegrenzten Personenkreis, der im Hinblick auf die damit verbundene Leitungs- und Vertretungsmacht derjenigen der in Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz aufgeführten Rechtsträger mindestens gleichsteht. Da Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz keine Einschränkung auf eine dem Arbeitnehmer erteilte Einzelunterschrift bzw. Einzelprokura enthält, ist Prokurist im Sinne dieser Vorschrift nicht nur der Einzel-, sondern auch der Kollektivprokurist (Anschluss an FG Baden-Württemberg, Urteil v. 5.6.2008, 3 K 2565/08).

2. Ein Steuerpflichtiger, der in der Schweiz mit einer „Kollektivunterschrift zu zweien”, aber ohne Funktionsangabe im Handelsregister eingetragen ist und der in der Schweiz zivilrechtlich über die Vertretungsmacht eines Direktors, mindestens jedoch über die eines Prokuristen verfügt und nicht lediglich als Handlungsbevollmächtigter i. S. v. Art 452 OR anzusehen ist, kann ungeachtet dessen als „leitender Angestellter” i. S. v. Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz einzustufen sein, dass nach § 19 Abs. 2 S. 2 der Verordnung zur Umsetzung von Konsultationsvereinbarungen zwischen der BRD und der Schweizerischen Eidgenossenschaft (Deutsch-Schweizerische Konsultationsvereinbarungsverordnung –KonsVerCHEV–) v. 20.12.2010 (BGBl I 2010, 2187; BStBl 2011 I S. 148) Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz nur auf Personen anwendbar ist, deren vom Anwendungsbereich der Vorschrift umfasste Funktion oder Prokura im Handelsregister eingetragen ist. Insoweit ist bei Eintragung der Zeichnungsberechtigung „Kollektivunterschrift” im Handelsregister nicht zusätzlich die Angabe einer Funktion (wie beispielsweise „Direktor” oder „Vizedirektor”) erforderlich.

3. § 19 Abs. 2 S. 2 KonsVerCHEV ist im Hinblick auf Entstehungsgeschichte sowie Sinn und Zweck dahingehend auszulegen, dass über die Eintragung der betreffenden Person im Handelsregister ihre Zugehörigkeit zu dem in Art. 15 Abs. 4 DBA Schweiz genannten Personenkreis bestimmt werden kann. Sinn und Zweck der in § 19 Abs. 2 S. 2 KonsVerCHEV geforderten Eintragung der betreffenden Personen im Handelsregister ist demnach, den Finanzverwaltungen eine praktikable und zuverlässige Abgrenzung des von Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz umfassten Personenkreises zu ermöglichen. Diesem Bedürfnis wird auch dann Genüge getan, wenn die Eintragung einer dem Personenkreis des Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz zugehörigen Funktion nicht nur dann angenommen wird, wenn diese ausdrücklich im Handelsregister genannt ist, sondern sie sich in anderer Weise aus der bestehenden Eintragung im Handelsregister ergibt.

4. Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz enthält für seinen Anwendungsbereich eine Fiktion des Tätigkeitsortes, die auch i. R. d. Auslegung von Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 Buchst. d DBA-Schweiz berücksichtigt werden muss (vgl. BFH, Urteil v. 25.10.2006, I R 81/04).

 

Normenkette

DBA CHE Art. 15 Abs. 4, 1 S. 2, Art. 4 Abs. 1, Art. 24 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Buchst. d, Art. 26 Abs. 3; EStG § 1 Abs. 1 S. 1, § 32b Abs. 1 Nr. 3; KonsVerCHEV Art. 19 Abs. 2 Sätze 1-2; AO § 8

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 30.09.2020; Aktenzeichen I R 60/17)

 

Tenor

1. Unter Änderung des Einkommensteueränderungsbescheids 2012 vom 2. Juni 2014 in Gestalt der Teileinspruchsentscheidung vom 25. Juni 2014 wird die Einkommensteuer auf 4.802 EUR herabgesetzt.

2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren wird für notwendig erklärt.

4. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Ermöglicht der Kostenfestsetzungsbeschluss eine Vollstreckung im Wert von mehr als 1.500 EUR, hat der Kläger in Höhe des vollstreckbaren Kostenerstattungsanspruchs Sicherheit zu leisten. Bei einem vollstreckbaren Kostenerstattungsanspruch bis zur Höhe von 1.500 EUR kann der Beklagte der vorläufigen Vollstreckung widersprechen, wenn der Kläger nicht zuvor in Höhe des vollstreckbaren Kostenanspruchs Sicherheit geleistet hat.

5. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob der Kläger ein sog. leitender Angestellter im Sinne von Art. 15 Abs. 4 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom 11. August 1971 (BGBl II 1972, 1022, BStBl I 1972, 519) i.d.F. des Protokolls vom 21. Dezember 1992 (BGBl II 1993, 1888, BStBl I 1993, 928) –DBA-Schweiz– ist.

Der Kläger ist verheiratet und wird für den Veranlagungszeitraum 2012 (Streitjahr) mit seiner Ehefrau zusammen zur Einkommensteue...

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