Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein Erlass von Nachforderungszinsen zur Umsatzsteuer, die aufgrund der Nichtbeachtung der Regeln zur Verlagerung der Steuerschuldnerschaft auf den Leistungsempfänger entstanden sind
Leitsatz (redaktionell)
1. Für die Frage eines Zinsvorteils, der dem Steuerpflichtigen wegen eines unberechtigten Vorsteuerabzugs entstanden ist, kommt es nur auf das zwischen dem Steuerpflichtigen und dem Finanzamt bestehende konkrete Steuerschuldverhältnis an. „Rechtsgrundlose” Umsatzsteuerzahlungen des Empfängers von Bauleistungen an die ausführenden Handwerker (Rechnungsaussteller) infolge der Nichtbeachtung der Regeln zur Verlagerung der Steuerschuldnerschaft auf den Leistungsempfänger sind bei dieser Betrachtung auszublenden.
2. Die beim Leistungsempfänger durch die Zahlung der in den Rechnungen der Handwerker fälschlicherweise ausgewiesenen Umsatzsteuer entstandenen Liquiditätsnachteile sind ggf. in diesem Verhältnis auszugleichen und können nicht die Unbilligkeit des infolge der Korrektur der unrichtigen Behandlung entstehenden Zinsanspruchs des Finanzamts begründen.
3. Auch der unionsrechtliche Neutralitätsgrundsatz verpflichtet nicht zum Erlass der Nachzahlungszinsen.
4. Die Entscheidung über eine Billigkeitsmaßnahme ist eine Ermessensentscheidung, die gerichtlich nur in den durch § 102 FGO gezogenen Grenzen nachprüfbar ist.
Normenkette
AO §§ 233a, 227, 5; UStG § 13b Abs. 2 Nr. 4, Abs. 5 S. 2, § 15 Abs. 1 S. 1 Nrn. 1, 4; FGO § 102
Nachgehend
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob Nachforderungszinsen zur Umsatzsteuer, die aufgrund der Nichtbeachtung der Regeln zur Verlagerung der Steuerschuldnerschaft auf den Leistungsempfänger entstanden sind, zu erlassen sind.
1. Der Kläger war u.a. in Bauprojekten als Generalunternehmer tätig. Er bezog Bauleistungen von Handwerkern, die ihm Rechnungen mit Ausweis von Umsatzsteuer ausstellten. Der Kläger bezahlte die Rechnungsbeträge und zog in den Umsatzsteuererklärungen für 2011 bis 2014 sowie in den Umsatzsteuervoranmeldungen für Januar bis Dezember 2015 die Vorsteuern ab.
2. Im Rahmen einer Außenprüfung u.a. wegen Umsatzsteuer 2011 bis 2014 kam die Prüferin zu dem Ergebnis, dass der Kläger die Umsatzsteuer aus den Handwerkerleistungen schuldet (Verlagerung der Steuerschuldnerschaft). Sie erhöhte nach § 13b Abs. 2 Nr. 4 i.V.m. Abs. 5 Satz 2 des Umsatzsteuergesetzes der in den Streitjahren geltenden Fassung (UStG) die Umsatzsteuer und ließ jeweils dieselben Beträge in demselben Besteuerungszeitraum nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 UStG zum Vorsteuerabzug zu. Zugleich versagte sie den vom Kläger ursprünglich nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG vorgenommenen Vorsteuerabzug aus den Handwerkerrechnungen (Bericht vom 14. Dezember 2016).
Die steuerliche Behandlung ist zwischen den Beteiligten unstreitig.
3. Der Beklagte (das Finanzamt –FA–) folgte der Prüferin in den geänderten Umsatzsteuerbescheiden 2011 bis 2014 jeweils vom 23. März 2017. Die Vorbehalte der Nachprüfung wurden aufgehoben.
Für das Jahr 2015 beachtete der Kläger in der Umsatzsteuererklärung vom 8. Mai 2017 –anders als noch in den Voranmeldungen– die Verlagerung der Steuerschuldnerschaft. Das FA folgte dem im Bescheid vom 19. Mai 2017 (Abrechnung zur Umsatzsteuer und Bescheid über Zinsen).
Im Einzelnen handelt es sich um die folgenden Beträge:
|
Leistungen |
Vorsteuern |
|
(§ 13b Abs. 2 Nr. 4 UStG) |
(§ 15 Abs. 1 Satz 1 UStG) |
Jahr |
Entgelt |
Umsatzsteuer |
Nr. 4 |
Nr. 1 |
2011 |
200.112 EUR |
38.021 EUR |
38.021 EUR |
./. 38.021 EUR |
2012 |
165.013 EUR |
31.352 EUR |
31.352 EUR |
./. 31.352 EUR |
2013 |
74.455 EUR |
14.146 EUR |
14.146 EUR |
./. 14.146 EUR |
2014 |
826.885 EUR |
157.108 EUR |
157.108 EUR |
./. 157.108 EUR |
2015 |
315.116 EUR |
59.872 EUR |
59.872 EUR |
|
Zugleich setzte es in den Umsatzsteuerbescheiden Nachzahlungszinsen wie folgt fest:
Jahr |
Zinsen |
2011 |
8.930 EUR |
2012 |
5.565 EUR |
2013 |
1.673 EUR |
2014 |
8.371 EUR |
2015 |
302 EUR |
Die Umsatzsteuerbescheide einschließlich der Zinsfestsetzungen wurden bestandskräftig.
4. Der Kläger beantragte mit Schreiben vom 28. Juni 2017 den Erlass der Zinsen zur Umsatzsteuer 2011 bis 2015 aus sachlichen und persönlichen Gründen. Die Festsetzung der Zinsen laufe den Wertungen des Gesetzgebers zuwider. Die Verzinsung soll typisierend objektive Zins- und Liquiditätsvorteile des Steuerpflichtigen ausgleichen. Im vorliegenden Fall seien aber keine Liquiditätsvorteile möglich: Die Handwerker hätten die Umsatzsteuer erklärt und an den Fiskus bezahlt. Aus der Sicht des Fiskus sei der Vorgang umsatzsteuerlich neutral gewesen.
Der Erlass der Zinsen sei auch unionsrechtlich geboten. Werde die Verlagerung der Steuerschuldnerschaft nicht beachtet, könne der Leistungsempfänger vom leistenden Unternehmer die an diesen gezahlte Umsatzsteuer zurückverlangen. Der leistende Unternehmer könne wiederum die Erstattung der an die Finanzverwaltung gezahlten Umsatzsteuer verlangen. Die Mitgliedstaaten könnten...