Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Besteuerung der von einem Versorgungswerk an die Erben des Versicherten erstatteten Beiträge
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Rückgewähr der von dem Erblasser an ein Versorgungswerk gezahlten Beiträge zur Altersabsicherung an dessen Erben unterfällt nicht der Einkommensteuer, wenn sie keinen Versorgungscharakter hat, sondern ausschließlich eine Billigkeitsmaßnahme ist, um dem Versicherten bzw. den Erben das Gefühl zu ersparen, die Beiträge seien aufgrund des Todes des Versicherten vor dem Auszahlungszeitpunkt „umsonst” gezahlt worden.
2. Grundsätzlich ist nur eine Verrechnung zwischen Erstattungen und Zahlungen aus demselben Versicherungsverhältnis möglich.
Normenkette
EStG § 10 Abs. 3, § 22 Nr. 1 S. 3a) aa) S. 1; AO § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2
Nachgehend
BFH (Beschluss vom 27.10.2014; Aktenzeichen X R 3/13) |
Tenor
1. Unter Änderung des Einkommensteueränderungsbescheids vom 2. Dezember 2010 wird die Einkommensteuer auf 8.080 EUR festgesetzt.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Ermöglicht der Kostenfestsetzungsbeschluss eine Vollstreckung im Wert von mehr als 1.500 EUR, hat der Kläger in Höhe des vollstreckbaren Kostenerstattungsanspruches Sicherheit zu leisten. Bei einem vollstreckbaren Kostenerstattungsanspruch bis zur Höhe von 1.500 EUR kann der Beklagte der vorläufigen Vollstreckung widersprechen, wenn der Kläger nicht zuvor in Höhe des vollstreckbaren Kostenanspruchs Sicherheit geleistet hat, §§ 151 FGO i.V.m. 708 Nr. 11, 709, 711 ZPO.
4. Die Hinzuziehung des Prozessbevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
5. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der im Januar 1941 geborene Kläger wird für den Veranlagungszeitraum 2006 (Streitjahr) mit seiner im März 1943 geborenen und im Mai 2006 verstorbenen Ehefrau (im Folgenden: Erblasserin) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger ist der Alleinerbe des Nachlasses der Erblasserin (Hinweis auf den Erbschein vom 4. Juli 2006 [Bl. 153 der FG-Akten] und auf § 3 des gemeinschaftlichen Testaments vom 13. Februar 2006 [Bl. 244 ff. der FG-Akten]). Die Eheleute haben einen Sohn, den im Januar 1975 geborenen X.
Der Kläger erzielte als praktischer Arzt seit Jahren (im Streitjahr als Arbeitsmediziner geringe) Einkünfte aus selbständiger Arbeit im Sinne von § 18 der im Streitjahr geltenden Fassung des Einkommensteuergesetzes – EStG 2006 – (Anlage GSE Zeile 35, Bl. 6 und 8 der Einkommensteuerakten Band IX – ESt-Akten –). Der Kläger erhält seit dem 1. Juni 2003 von der badenwürttembergischen Versorgungsanstalt für Ärzte, Zahnärzte und Tierärzte in A (Versorgungsanstalt BW) eine Altersrente von 34.717 EUR (im Streitjahr; vgl. Anlage R zur Einkommensteuererklärung, Bl. 29 der ESt-Akten). Die Altersrente beurteilte der Beklagte (das Finanzamt – FA –) als Leibrente im Sinne von § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchstabe a Doppelbuchstabe aa EStG 2006, die unter Berücksichtigung der nach dem Antrag des Klägers (Anlage R für das Jahr 2005 in Verbindung mit der Bescheinigung der Versorgungsanstalt BW vom 1. August 2005, Bl. 29 und 30 der ESt-Akten 2005) anzuwenden Öffnungsklausel (vgl. § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchstabe a Doppelbuchstabe bb Satz 2 EStG 2006) zu 27,82 % mit dem Ertragsanteil von 21 % (in Höhe von 2.028 EUR) und der verbleibende Betrag (vgl. § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchstabe a Doppelbuchstabe aa Satz 1 ff. EStG 2006) zu 50 % (in Höhe von 12.929 EUR) steuerpflichtig sei.
Die Erblasserin war als selbständige Zahnärztin seit dem 12. März 1968, dem Datum ihrer Approbation, bis zu ihrem Todestag Pflichtmitglied im Versorgungswerk der Zahnärztekammer B. (Körperschaft des öffentlichen Rechts) – im Folgenden: Versorgungswerk B –. Das Versorgungswerk B hat die Aufgabe, seinen Mitgliedern und deren Hinterbliebenen Versorgungsleistungen zu gewähren (Hinweis auf § 1 Satz 4 der im Streitjahr geltenden Satzung [gültig ab 1. Januar 2005] – im Folgenden: Satzung 2005 –). Mit dem Tod der Erblasserin im Mai des Streitjahres endete die Beitragspflicht (§ 11 Abs. 1 Buchstabe a der Satzung 2005). Die Erblasserin leistete ausschließlich selbst Beiträge an das Versorgungswerk B und zwar in Höhe von insgesamt 153.723,09 EUR (für den Zeitraum 12. März 1968-30. Juni 2005). Im Jahr 2005 leistete sie Beiträge in Höhe von 3.091,20 EUR. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die vom Versorgungswerk B dem Finanzgericht (FG) zur Verfügung gestellte und nachfolgend wiedergegebene Beitragshistorie Bezug genommen (Bl. 152 der FG-Akten).
Die Abkürzung „AR” bedeutet Altersrente und „HR” Hinterbliebenenrente (vgl. im Übrigen das Schreiben des Versorgungswerks B vom 22. Mai 2012 [Bl. 282 der FG-Akten]).
Die Beiträge der Erblasserin an das Versorgungswerk B wurden in den Einkommensteuererklärungen für 1999 – 2005 (s. die Anlagen 12, 13,14, 15, 16, 17, 18 zum Schriftsatz des Klägers vom 9. Februar 2012) als Sonderausgaben geltend gemacht. In den Einkommensteuerfestsetzungen 1998-2004 (und zuvor) wurden die v...