Entscheidungsstichwort (Thema)
Antragsveranlagung für Veranlagungszeiträume vor 2005 bei Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit. verfassungskonformer Auslegung des § 170 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AO auf Antragsveranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG bei Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit
Leitsatz (redaktionell)
1. Da sowohl pflicht- als auch antragsveranlagte Steuerpflichtige sich in einer vergleichbaren Lage befinden, ist bei verfassungskonformer Auslegung die Anlaufhemmung des § 170 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AO analog auf die Antragsveranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG anwendbar.
2. Die grundsätzliche Erklärungspflicht nach § 25 Abs. 3 EStG besteht ungeachtet des § 56 EStDV weiter.
3. Bei Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit kommt nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG i. V. m. § 52 Abs. 55 j EStG 2008 eine Veranlagung für Veranlagungszeiträume vor 2005 auch dann in Betracht, wenn vor dem 28.12.2007 kein Antrag auf Veranlagung bei der Finanzbehörde eingegangen ist.
Normenkette
AO § 170 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, § 169 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, § 149 Abs. 1; GG Art. 3; EStG 2008 § 46 Abs. 2 Nr. 8, § 52 Abs. 55j, § 25 Abs. 3; EStDV § 56
Nachgehend
Tenor
1. Unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 18. März 2008 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 10. Juni 2008 wird der Beklagte verpflichtet, die Einkommensteuerveranlagung der Klägerin für das Jahr 2003 durchzuführen.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
3. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
4. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Ermöglicht der Kos-tenfestsetzungsbeschluss eine Vollstreckung im Wert von mehr als 1.500 EUR, hat die Klägerin in Höhe des vollstreckbaren Kostenerstattungsanspruches Sicherheit zu leisten. Bei einem vollstreckbaren Kostenerstattungsanspruch bis zur Höhe von 1.500 EUR kann der Beklagte der vorläufigen Vollstreckung widersprechen, wenn die Klägerin nicht zuvor in Höhe des vollstreckbaren Kostenanspruchs Sicherheit geleistet hat, §§ 151 FGO i.V.m. 708 Nr. 11, 709, 711 ZPO.
5. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob eine Einkommensteuerveranlagung durchzuführen ist.
Die Klägerin bezog im Streitjahr ausschließlich Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit. Am 8. Januar 2008 reichte sie die Einkommensteuererklärung für das Jahr 2003 ein. Mit Schreiben vom 1. Februar 2008 teilte das beklagte Finanzamt der Klägerin mit, dass die zweijährige Antragsfrist für die Veranlagung abgelaufen sei und forderte die Klägerin auf, gegebenenfalls Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vorzutragen und glaubhaft zu machen. Der daraufhin gestellte Antrag auf Wiedereinsetzung wurde damit begründet, dass die Klägerin die Ausschlussfrist für Antragsveranlagungen nicht gekannt habe. Sie sei in den Vorjahren immer zur Abgabe einer Steuererklärung aufgefordert worden und habe daher keinen Anlass gesehen, sich über den Lauf von Fristen, die das Finanzamt nicht erwähnt habe, zu informieren.
Das Finanzamt lehnte die Veranlagung für das Jahr 2003 mit Bescheid vom 18. März 2008 ab. Der dagegen form- und fristgerecht eingelegte Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung vom 10. Juni 2008 zurückgewiesen. Hiergegen erhob die Klägerin am 9. Juli 2008 Klage.
Zur Begründung trägt sie vor, die beantragte Einkommensteuerveranlagung sei durchzuführen, nachdem die zweijährige Ausschlussfrist für Antragsveranlagungen im Gesetz nunmehr entfallen sei. Die Gesetzesänderung wäre auch für den Veranlagungszeitraum 2003 anzuwenden, wenn über einen Antrag auf Veranlagung bis zum 28. Dezember 2007 nicht entschieden worden sei. Der Antrag der Klägerin auf Veranlagung sei innerhalb der Festsetzungsfrist gestellt worden. Die dreijährige Anlaufhemmung greife auch im Falle der Antragsveranlagung, da andernfalls gegen den Gleichbehandlungs-grundsatz verstoßen würde.
Die Klägerin beantragt,
- den Beklagten zu verpflichten, die Einkommensteuerveranlagung 2003 durchzuführen,
- hilfsweise die Revision zuzulassen,
- die Zuziehung des Prozessbevollmächtigten zum Vorverfahren für notwendig zu erklären.
Der Beklagte beantragt,
- die Klage abzuweisen,
- hilfsweise die Revision zuzulassen.
Er trägt vor, der Wegfall der Antragsfrist käme erst ab dem Veranlagungszeitraum 2005, mithin nicht im Streitfall zur Anwendung. Der Wegfall dieser Frist bedeute im Übrigen nicht, dass Antrags- und Pflichtveranlagungen auch hinsichtlich der Festsetzungsverjährung gleich zu behandeln seien. Für Antragsveranlagungen beginne die Festsetzungsfrist ohne Anlaufhemmung mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden sei. Die vierjährige Festsetzungsfrist für das Streitjahr sei daher im Jahr 2008, als der Antrag auf Veranlagung gestellt wurde, bereits abgelaufen gewesen.
Dem ursprünglich ebenfalls verfahrensgegenständlichen Antrag auf Veranlagung für das Jahr 2004 hat der Beklagte im Laufe des gerichtlichen Verfahrens stattgeg...