Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftung für Kapitalertragsteuer. keine verfassungswidrige Rückwirkung der Änderung des § 27 Abs. 5 KStG durch das SEStEG
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Haftung nach § 27 Abs. 5 Satz 4 KStG ist verschuldensunabhängig.
2. Im Streitfall konnte offen bleiben, ob juristische Personen des Privatrechts, deren Anteile vollständig von der öffentlichen Hand gehalten werden, sich auf eine aufgrund des Rechtsstaatsprinzips aus Art. 20 Abs. 3 GG verfassungswidrige Rückwirkung einer Gesetzesänderung berufen können.
3. Die (im Streitfall echte) Rückwirkung des § 27 Abs. 5 KStG in der Fassung durch das SEStEG durch die in § 34 Abs. 1 KStG ebenfalls in der Fassung durch das SEStEG normierte Geltung rückwirkend ab Beginn des Jahres 2006 ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Normenkette
KStG i.d.F. des SEStEG § 27 Abs. 5; KStG i.d.F. des SEStEG § 34 Abs. 1; GG Art. 20 Abs. 3
Nachgehend
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Revision zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Nachforderung von Kapitalertragsteuer – KapESt – für den Kalendermonat Oktober 2006, dabei insbesondere um die Frage der Verfassungsmäßigkeit der rückwirkenden Änderung von § 27 Abs. 5 Körperschaftsteuergesetz – KStG – durch das „Gesetz über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterer steuerrechtlicher Vorschriften (SEStEG)”.
Die Klägerin ist ein Gemeinschaftsunternehmen der Länder … und … in der Rechtsform …, an der beide … beteiligt sind. Sie … Unternehmungsgegenstand.
I.1.
Die hier relevante Änderung des § 27 Abs. 5 KStG war im Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 11.08.2006 (Bundesrats-Drucksache – BR-Drs – 542/06) noch nicht enthalten und wurde auch in der Stellungnahme des Bundesrats vom 22.09.2006 (BR-Drs 542/06 Beschluss) nicht angesprochen. Gemäß Art. 3 Nr. 11 Buchstabe a des Gesetzentwurfs (Änderung von § 34 KStG) sollten die vorgesehenen Änderungen des KStG grundsätzlich ab dem Jahr 2006 gelten, soweit sich nicht aus den folgenden Buchstaben für dort im einzelnen aufgeführten Änderungen etwas anderes ergab.
2.
Die relevante Änderung wurde vielmehr – neben zahlreichen weiteren – durch den Finanzausschuss mit seiner abschließenden Beschlussempfehlung vom 08.11.2006 (Bundestags-Drucksache – BT-Drs – 16/3315, Seite 18) in Art. 3 Nr. 9 als neuer Buchstabe b1 eingefügt. Aufgrund der weiteren Änderungen wurden auch die Ausnahmen vom generellen Inkrafttreten ab dem Jahr 2006 in Art. 3 Nr. 11 erweitert, jedoch nicht bezüglich der Änderung von § 27 Abs. 5 KStG, so dass es bezüglich dieser Änderung beim allgemeinen Inkrafttreten ab dem Jahr 2006 blieb. Der Bundestag nahm den Gesetzesantrag in der Fassung des Finanzausschusses am 09.11.2006 an, der Bundesrat stimmte am 24.11.2006 zu, das Gesetz vom 07.12.2006 wurde am 12.12.2006 im Bundesgesetzblatt verkündet.
3.
Die Begründung für die Änderung des § 27 Abs. 5 KStG ergibt sich aus dem Bericht des Finanzausschusses vom 09.11.2006 (BT-Drs 16/3369, Seite 8):
„Die Regelungen zur Bescheinigung der Einlagenrückgewähr wurden überarbeitet. Künftig wird eine bescheinigte Verwendung von Beträgen aus dem steuerlichen Einlagekonto nur noch dann festgeschrieben, wenn der Betrag der Einlagenrückgewähr zu niedrig bescheinigt worden ist. Dadurch wird verhindert, dass durch das Ausstellen einer bewusst falschen Bescheinigung eine Verwendung von steuerlichem Einlagekonto erreicht werden kann.
Wird eine Einlagenrückgewähr zu hoch bescheinigt, kann die Bescheinigung berichtigt werden. Zur Verfahrenserleichterung bei Publikumsgesellschaften ist eine Korrektur nicht zwingend vorgeschrieben.
Der überhöht ausgewiesene Betrag unterliegt der Kapitalertragsteuer, die ggf. durch Haftungsbescheid geltend zu machen ist.”
II. 1.
Für … ermittelte eine Beratungsgesellschaft im Jahr 2004 eine Ausgleichspflicht des Landes … zugunsten der Klägerin in Höhe von 20.929.000 EUR. Zum Ausgleich der Verbindlichkeit vereinbarten die Gesellschafter, dass das Land … zugunsten der Klägerin eine Ausgleichszahlung in Höhe von 20.900.000 EUR schuldete und eine „Ausschüttung aus dem Eigenkapital in Höhe von 20.900.000 EUR als Nettobetrag” vorgenommen werden und allein dem Land … zugutekommen sollte. Das Land … sollte keine Ausschüttung erhalten, mit der bestehenden Ausgleichsverpflichtung sollte eine Aufrechnung stattfinden.
2.
Daraufhin bildeten die Gesellschafter eine gesonderte Arbeitsgruppe bestehend aus Vertretern der Gesellschafter, dem Abschlussprüfer und dem Steuerberater, die sich mit den steuerlichen Auswirkungen einer Gewinnausschüttung oder einer Verwendung von Eigenkapital beschäftigte und eine Empfehlung aussprechen sollte. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin gelangte dabei zu dem Ergebnis, dass ein ausschüttbarer Gewinn im Sinne des § 27 Abs. 1 KStG a.F. nicht zur Verfügung stand und die Gewinnausschüttung in Höhe von 40 Mio. EUR...