Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftung eines ehemaligen GbR-Gesellschafters für Lohnsteuerhaftungsschulden der GbR nach § 128 HGB und nach § 71 AO. Anwendung des § 159 Abs. 4 HGB im Rahmen der steuerlichen Haftung. Lohnsteuerabzugspflicht des Entleihers bei unwirksamer Arbeitnehmerüberlassung
Leitsatz (redaktionell)
1. Ungeachtet der Auflösung oder zivilrechtlichen Vollbeendigung einer GbR kann das FA für die GbR wegen der Nichterfüllung der Lohnsteuerabführungsverpflichtungen einen Lohnsteuerhaftungsbescheid erlassen.
2. Für die Verjährung des Steuerhaftungsanspruchs entsprechend § 128 HGB, der sich gegen den Gesellschafter einer aufgelösten GbR richtet, gilt § 159 HGB entsprechend.
3. Mit der Neufassung des § 159 Abs. 4 HGB durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz hat sich der Regelungsgehalt von § 159 Abs. 4 HGB nicht verändert. Wie bisher bestimmt sich die Verjährung des steuerlichen Anspruchs sachgerecht nur nach den Regelungen der AO.
4. Ist die Aussetzung der Vollziehung eines wegen Nichtabführung von Lohnsteuerschulden gegenüber einer aufgelösten GbR ergangenen Haftungsbescheids ausgesetzt, ist gem. § 159 Abs. 4 HGB auch der Lauf der Festsetzungsfrist für den Haftungsbescheid unterbrochen, der gegenüber dem ehemaligen Gesellschafter gem. § 128 HGB wegen der Lohnsteuerschulden der GbR ergeht.
5. Missbraucht der Mitgesellschafter einer GbR inaktive Domizilgesellschaften gezielt zur Verschleierung der Beschäftigung englischer Arbeitnehmer auf den Baustellen der GbR, wird die GbR zu Recht gem. § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG i. V. m. § 191 Abs. 1 AO für die nicht abgeführten Lohnsteuerabzugsbeträge in Haftung genommen.
6. Eine ohne die erforderlichen Genehmigungen betriebene Arbeitnehmerüberlassung begründet für den Entleiher lohnsteuerrechtliche Pflichten.
7. Die Geschäftsführerin einer GbR haftet nach § 71 AO als Beteiligte einer Steuerhinterziehung, wenn sie billigt, dass die GbR für britische Bauarbeiter keine Lohnsteuer einbehält und abführt, obwohl ihr bewusst ist, dass die GbR bei den an die Bauarbeiter erbrachten Zahlungen eigene Lohnverpflichtungen erfüllt und tatsächlich keine Subunternehmerverträge bestehen.
Normenkette
EStG § 42d Abs. 1 Nr. 1, § 38 Abs. 3, § 41a; AO § 191 Abs. 1, 4, §§ 71, 220 Abs. 1, §§ 231, 370; HGB §§ 128, 159 Abs. 1, 4; BGB §§ 204, 212; AÜG § 9 Abs. 1 Nr. 1, § 10 Abs. 1
Nachgehend
BFH (Beschluss vom 22.03.2012; Aktenzeichen VI B 47/11) |
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Tatbestand
Die Klägerin und der britische Staatsangehörige A – geboren am … – waren seit Januar 1997 je zur Hälfte Gesellschafter der Gesellschaft bürgerlichen Rechts G.1 (nachfolgend: GbR) mit Sitz in E. Die Gesellschaft war bereits am 28. April 1995 durch die Klägerin und den britischen Staatsangehörigen B unter der Firmierung G.2 GbR gegründet worden. Mit notariellem Vertrag vom 06. Januar 1997 trat der Mitgesellschafter B aus der Gesellschaft aus. An seine Stelle trat mit gleichen Rechten und Pflichten A in die Gesellschaft ein. Gleichzeitig wurde die Firma der Gesellschaft in G.1 GbR geändert und die Klägerin zur alleinigen Geschäftsführerin benannt.
Gegenstand des Unternehmens war die Durchführung von Bauarbeiten. Als Arbeitnehmer beschäftigte die GbR lediglich den Ehemann der Klägerin für Büroarbeiten.
Bei in den Jahren 1997 und 1998 durchgeführten Baustellenkontrollen wurden auf den Baustellen der GbR britische Bauarbeiter angetroffen. Am 15. April 1997 wurden bei einer Kontrolle des Hauptzollamtes C auf dem Bauvorhaben D. britische Arbeitnehmer angetroffen, die für die GbR tätig waren. Bei der vom Hauptzollamt C durchgeführten Befragung der Bauarbeiter hatten diese als Sozialversicherungsnachweise die Bescheinigungen „E101” vorgelegten, mit denen sie als selbständig tätige Personen ausgewiesen wurden (Blatt 47 bis 66 der Akten des Arbeitsamts E).
Bei den Kontrollen der Bearbeitungsstelle zur Bekämpfung der illegalen Beschäftigung beim Arbeitsamt E wurden auf einem Bauvorhaben in … am 25. September 1997 … und am 1. Oktober 1997 … britische Arbeitnehmer angetroffen. Am 14. Oktober 1997 wurde A mit … britischen Arbeitnehmern auf einem Bauvorhaben in E angetroffen. Die Arbeiter erklärten bei ihrer Befragung, bei der Fa. F, Anschrift beschäftigt zu sein. Ihre Arbeitsanweisungen würden sie von A erhalten. Dieser stelle auch das benötigte Material zur Verfügung.
Im Rahmen des am 30. September 1997 eingeleiteten Ermittlungsverfahrens wegen des Verdachts der unerlaubten Arbeitnehmerüberlassung wurden am 27. Januar 1998 die Geschäftsräume der GbR durchsucht. Es wurden Quittungsbelege sichergestellt, mit denen die Bauarbeiter von der GbR erhaltene Barzahlungen bestätigt hatten, und ein Firmenstempel der Fa. F vorgefunden. Die beiden hierbei befragten Gesellschafter – die Klägerin und A – hatten nach dem Inhalt des hierzu gefertigten Berichts zu den Geschäftsbeziehungen zur F im Wesentlichen Folgendes erklärt: Die Aufträge würden von der GbR akquiriert. Da in der Firma jedoch...