Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftung eines ausgeschiedenen Geschäftsführers. pflichtwidriges Handeln bei unzureichender Vermögens- und Mittelvorsorge zur Tilgung erkennbar entstehender Steueransprüche
Leitsatz (redaktionell)
1. Ein Geschäftsführer handelt pflichtwidrig, wenn er ungeachtet der erkennbar entstehenden Steueransprüche für deren spätere Tilgung im Zeitpunkt der Fälligkeit keine Vorsorge trifft.
2. Grundsätzlich kommt als Haftungsschuldner im Sinne von § 69 AO auch ein zwischenzeitlich ausgeschiedener Geschäftsführer in Betracht, wenn er die ihm während seiner Tätigkeit obliegenden steuerlichen Pflichten der Gesellschaft schuldhaft nicht erfüllt hat.
3. Der Geschäftsführer verletzt zumindest grob fahrlässig seine Pflicht zur Vermögens- und Mittelvorsorge, wenn er das Bankkonto der Gesellschaft, auf dem bis zu dessen Löschung noch erhebliche Geldeingänge zu verzeichnen waren, dem Vollstreckungszugriff des Finanzamts entzieht.
Normenkette
AO § 191 Abs. 1, §§ 69, 34 Abs. 1; GmbHG § 35 Abs. 1
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden der Klägerin auferlegt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über einen Haftungsbescheid vom 23.12.2015 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 13.07.2016, mit dem der Beklagte die Klägerin als formelle Geschäftsführerin der Rechtsnachfolgerin der liquidationslos vollbeendeten B. GmbH & Co. KG (fortan KG) für deren Gewerbesteuerschulden in Höhe von 74.304,30 EUR in Anspruch nimmt.
Die KG wurde im Jahre 2005 unter der Firma C. GmbH & Co. KG (seit 04.09.2007 umfirmiert in B. GmbH & Co. KG, Bl. 21 Haftungsakte A. [Klin.]) im Handelsregister des Amtsgerichts (AG) D. (HRA …) eingetragen.
Als Projektgesellschaft kaufte die KG Objekte an, baute diese um und veräußerte diese nach Fertigstellung. Im Jahr 2010 waren sämtliche Objekte veräußert; eine weitere Geschäftstätigkeit übte die KG anschließend nicht mehr aus.
Persönlich haftende Gesellschafterin der KG war die im Handelsregister des AG D. zu HRB … eingetragene Fa. E. GmbH (fortan GmbH) mit Sitz in F. und einem gezeichneten Kapital i. H. v. 25.000 EUR. Neben den Herren G. und H. war die Klägerin in den Zeiträumen 14.10.2005 bis 25.05.2007 und 09.06.2009 bis 23.03.2011 (HRG-Auszug, Bl. 21 ff. ≪24≫ Haftungsakte Klin.) alleinvertretungsberechtigte Geschäftsführerin.
Kommanditisten der KG mit einer Hafteinlage i. H. v. jeweils 12.500 EUR (HRG-Auszug, Bl. 21 Haftungsakte Klin.) waren die Kapitalgesellschaften I. GmbH (HRG AG D. zu: HRB …) sowie die J. GmbH & Co. KG (AG K. zu: HRA …). Beide Kommanditgesellschaften hielten jeweils zur Hälfte das Stammkapital der GmbH i. H. v. 25.000 EUR (vgl. Kauf- und Abtretungsvertrag vom 17.03.2011, Bl. 35 ff. ≪36≫ Streitakte).
Mit Beschluss vom 04.03.2011 schieden beide Kommanditgesellschaften aus der KG aus und wurde deren Unternehmen unter Übernahme aller Aktiva und Passiva liquidationslos durch die Komplementär GmbH als deren Rechtsnachfolgerin fortgeführt. Die Firma der KG erlosch (HRG-Auszug, Bl. 21 Haftungsakte Klin.).
Aufgrund notariellen Kauf – und Abtretungsvertrages vom 17.03.2011 (Bl. 35 ff. Haftungsakte Klin.) übertrugen die Gesellschafterinnen (und vormaligen Kommanditistinnen der KG) ihre GmbH-Geschäftsanteile i. H. v. jeweils 12.500 EUR an Herrn L. zu einem Kaufpreis i. H. v. jeweils 2.500 EUR (insgesamt 5.000 EUR). Zugleich wurden zumindest die Klägerin sowie G. „mit sofortiger Wirkung” als Geschäftsführ der GmbH abberufen und L. zu deren Geschäftsführer bestellt. Der weitere Geschäftsführer H. soll lt. Schriftsatz vom 05.02.2013 seines steuerlichen Vertreters (Haftungsakte H.) gleichfalls als Geschäftsführer abberufen worden sein, was aufgrund eines Notarversehens nicht beurkundet worden und zur Eintragung ins Handelsregister gelangt sei.
Unter § 3 des genannten Notarvertrages vom 17.03.2011 bestätigte der Käufer (L.), dass er das „gegenwärtige Barguthaben” der GmbH i. H. v. „57.509,59 EUR am heutigen Tage” (Anmerkung des Gerichts: gemeint ist der 17.03.2011) erhalten habe. Der weitere Geschäftsführer H. wurde (spätestens) zum 19.09.2011 abberufen (siehe HRG-Auszug Seite 3, Haftungsakte).
Bereits mit notariellem Vertrag vom 25.03.2011 – auf dessen Inhalt ergänzend Bezug genommen wird (Bl. 45 ff. Streitakte) – übertrug L. seinen GmbH-Anteil an die M. Limited. Zugleich wurde er als Geschäftsführer der GmbH abberufen und Herr N. zu deren neuen Geschäftsführer bestellt (Bl. 45 ≪48≫ Streitakte).
Mit Beschluss vom 09.08.2011 wurde L. als Geschäftsführer der GmbH erneut abberufen (Bl. 54 ff. Streitakte). Zugleich schied auch N. aus der formellen Geschäftsführerfunktion aus (Bl. 54 ff. Streitakte).
Am 13.06.2012 wurde die GmbH – deren Geschäftsführer zuletzt Herr O. seit 09.08.2011 war – wegen Vermögenslosigkeit im Handelsregister von Amts wegen gelöscht (Handelsregisterauszug, Bl. 21 ff ≪25≫). Über dessen Vermögen war bereits mit Beschluss des AG P. (Geschäftsnummer 32 IN 134/09) am 10.01.2010 ein Insolvenzverfahren eröffnet worden (Bl. 7 f. Haftungsakte A).
Ausweislich einer...