Entscheidungsstichwort (Thema)
Erlass von Grundsteuer bei strukturellem Leerstand. Änderung des § 33 GrStG durch das JStG 2009 ist verfassungsgemäß
Leitsatz (redaktionell)
1. Die mit dem Jahressteuergesetz (JStG) 2009 vom 19.12.2008 für das Kalenderjahr 2008 eingeführte Änderung des § 33 GrStG verstößt weder bei Anwendung des im Vordringen befindlichen dispositionsbezogenen Rückwirkungsbegriffs noch bei Zugrundelegung der traditionellen, zwischen der sog. echten und unechten Rückwirkung unterscheidenden Dogmatik gegen den aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten Grundsatz des Vertrauensschutzes, der es grundsätzlich verbietet, rückwirkend belastende Steuergesetze zu erlassen.
2. Anknüpfungspunkt des § 33 GrStG ist eine – vom Steuerschuldner nicht zu vertretende – Ertragsminderung. Deshalb fehlt es typischerweise an einer Disposition, die der Änderung des § 33 GrStG entgegenstehen könnte. Insoweit stellt sich die Frage einer Rückwirkungsproblematik nach der neueren Dogmatik von vornherein nicht.
3. Der Umstand, dass bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 33 GrStG i. V. m. § 34 GrStG ein Rechtsanspruch auf Grundsteuererlass besteht, ändert nichts an dem Charakter dieser Vorschriften als Billigkeitsnormen.
4. Die Änderung des § 33 GrStG durch das JStG 2009 verletzt weder das Eigentumsrecht betroffener Steuerpflichtiger, noch verstößt sie gegen den allgemeinen Gleichheitssatz.
5. Selbst wenn man eine Verfassungswidrigkeit des Einheitswertverfahrens oder der Grundsteuer annimmt, ergibt sich daraus nicht zugleich die Verfassungswidrigkeit von § 33 GrStG n. F.
6. Die Finanzbehörden sind nicht zur Erstellung eigener Mietspiegel verpflichtet.
Normenkette
GrStG § 33 Fassung: 2008-12-19, § 34 Fassung: 2008-12-19, § 38 Fassung: 2008-12-19; GG Art. 20 Abs. 3, Art. 3 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1
Nachgehend
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Rechtsstreit betrifft die Anwendung der Erlassregelung in § 33 des Grundsteuergesetzes in der Fassung des Jahressteuergesetzes vom 19. Dezember 2008 – GrStG n.F. – auf das Kalenderjahr 2008. Die Beteiligten streiten insbesondere über die Verfassungswidrigkeit des § 33 GrStG n.F. i.V.m. § 38 GrStG unter dem Gesichtspunkt der unzulässigen Rückwirkung, des Vorliegens einer zu groben Pauschalierung und der Verfassungswidrigkeit der Erhebung der Grundsteuer.
Der Kläger ist Eigentümer des bebauten Grundstücks … im Stadtteil …. Auf dem Grundstück wurde im Jahr 1962 ein Büro- bzw. Lagergebäude errichtet. Das Bürogebäude wurde im Jahr 1968 und nochmals im Jahr 1991 erweitert. Das bebaute Grundstück … wird nachfolgend abgekürzt als Immobilie bezeichnet. Sämtliche Einheitswertfeststellungen für die Immobilie (Hauptfeststellung, Wertfortschreibungen, Nachfeststellung) erfolgten im Sachwertverfahren. Der letzte Einheitswertbescheid (Wertfortschreibung auf den 1. Januar 1992) datiert vom 29. September 1994. Der Einheitswert beträgt danach … DM.
Im Jahr 1996 erteilte der Kläger als Vertreter der … Immobilien-Verwaltung dem Dipl.-Volkswirt … (öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger zur Bewertung von bebauten und unbebauten Grundstücken) den Auftrag, ein Verkehrswertgutachten für einen Teil der Immobilie – nämlich Bürohaus mit Pkw-Parkplätzen und Gartenareal … – zu erstellen. Dieses Gutachten reichte er bei dem für seine Einkommensteuerveranlagung zuständigen Finanzamt … zwecks Nachweises eines niedrigeren Entnahmegewinns ein. Der Sachverständige führte für den zu bewertenden Teil anhand des ihm vorgelegten Planmaterials eine Flächenberechnung in Anlehnung an die II. Berechnungsverordnung, Teil IV, §§ 42 – 44 durch und entwickelte auf der Basis der Ortsüblichkeit langfristig erzielbare Mietansätze. Laut Gutachten beträgt die bewertete Fläche des Bürogebäudes insgesamt 1.508 m², die ortsübliche Monatsmiete hierfür sowie für dazugehörige 24 Parkplätze insgesamt 15.513,– DM und die Jahresmiete 186.156,– DM. Der Sachverständige errechnete für den von ihm bewerteten Teil der Immobilie zum Bewertungsstichtag 4. Juni 1996 einen Sachwert von gerundet 3.100.000 DM, einen Ertragswert von gerundet 2.100.000,– DM und einen Verkehrswert von 2.100.000,– DM. Umgerechnet in EUR ergibt sich nach dem Sachverständigengutachten eine langfristig erzielbare Quadratmetermiete von 5,26 EUR (= 10,29 DM = 15.513,– DM: 1.508 m²) pro Monat (nachfolgend abgekürzt: p.M.). Die Lage der Immobilie ordnete der Sachverständige im durchschnittlichen bzw. – im Hinblick auf die „unstimmige Bebauung” – eher unterdurchschnittlichen Bereich ein. Hierzu erläuterte er in dem Verkehrswertgutachten:
„[…]
LAGEQUALITÄT: Der Stadtteil … ist auf gesamt … übertragen, in der Rangordnung der einzelnen Stadtteile untereinander, in der Beliebtheitsskala im durchschnittlichen, teilweise im unterdurchschnittlichen Bereich einzuordnen.
[…]
Im vorliegenden Fall ist ...