rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Aufrechnung bei Begründung der Aufrechnungslage erst nach Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens. Aufrechnung der Umsatzsteuererstattungsansprüche einer Organgesellschaft mit der aus den Umsatzsteuerschulden der Organträgerin resultierenden Haftungsschuld. Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
Leitsatz (amtlich)
1. Hebt das FA, nach dem es das Bestehen eines Organschaftsverhältnisses festgestellt hat, die Umsatzsteuerfestsetzungen gegenüber der Organgesellschaft auf, über deren Vermögen zwischenzeitlich das Gesamtvollstreckungsverfahren eröffnet wurde, und nimmt diese für Umsatzsteuern der Organträgerin durch Haftungsbescheid in Anspruch, ist eine Aufrechnung der Haftungsschuld mit dem Umsatzsteuererstattungsanspruch ausgeschlossen, da die Aufrechnungslage erst nach Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens begründet wurde.
2. Bislang ist höchstrichterlich noch unentschieden, unter welchen Voraussetzungen das FA unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben ggf. Anspruch gegenüber der Organgesellschaft auf Abschluss eines Verrechnungsvertrages zugunsten der umsatzsteuerlichen Organträgerin hat.
Normenkette
AO 1977 § 226; GesO § 7 Abs. 5; AO 1977 §§ 73, 37, 191 Abs. 1, §§ 218, 251 Abs. 2 S. 1; UStG § 2 Abs. 2 Nr. 2; BGB § 387; KO § 54
Tenor
Der Antrag wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden der Antragstellerin auferlegt.
Tatbestand
Über das Vermögen der Antragstellerin wurde mit Beschluss des Amtsgerichts L… vom 30. September 1997 das Gesamtvollstreckungsverfahren eröffnet. Die Umsatzsteuersonderprüfung des Finanzamts M…. stellte das Vorliegen einer umsatzsteuerlichern Organschaft fest, bei der die Antragstellerin Organgesellschaft war. Mit Bescheiden vom 2. August, 17. März bzw. 4. April 2000 hob der Antragsgegner die Umsatzsteuerfestsetzungen für 1994 bis 1996 bzw. die Vorauszahlungsbescheide bis September 1997 auf. Das Finanzamt M…. nahm gegenüber der Antragstellerin am 10. Februar bzw. 12. Juli 2000 „Haftungsberechnungen” nach § 191 Abs.1 i.V.m. § 73 Abgabenordnung -AO- für die Umsatzsteuern der Organträgerin für 1994 bis 1997 in Höhe von 611.129,– DM bzw. 23.328,12 DM vor. Der Antragsgegner erließ am 22. November 2001 einen Abrechnungsbescheid gegenüber der Antragstellerin, wonach Umsatzsteuern in Höhe von 331.949,– DM auf das Steuerkonto der Organträgerin beim Finanzamt M…. umgebucht wurden. Die Antragstellerin hat den Bescheid angefochten. Der Abrechnungsbescheid vom 11. Juli 2002 wies dann ein Gesamtguthaben zugunsten der Antragstellerin in Höhe von 355.277,10 DM (181.650,30 Euro) wegen Umsatzsteuer 1994 bis Juni 1997 aus. Davon wurden am 26. August 2002 84.088,14 Euro und am 28. August 2002 1.509,84 Euro an die Antragstellerin ausgezahlt. Den verbleibenden Betrag rechnete der Antragsgegner am 15. November 2002 in Höhe des Bundesanteils der jeweiligen Jahre an der Umsatzsteuer, d.h. in Höhe von 96.052,32 Euro, mit beim Finanzamt M…. bestehenden Umsatzsteuerforderungen gegenüber der Organträgerin gemäß § 73 AO auf.
Die Antragstellerin macht zur Begründung ihres Antrages auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im Wesentlichen geltend, durch die offensichtlich unzulässige Aufrechnung würde der Gesamtvollstreckungsmasse das streitige Guthaben vorenthalten, was zu entsprechenden Zinsschäden führe, die nicht durch § 233 a bzw. § 236 AO kompensiert würden. Ein erneuter Rechtstreit über einen Abrechnungsbescheid hindere bzw. verzögere die Abwicklung des Gesamtvollstreckungsverfahrens. Die Aufrechnung sei unzulässig, denn es fehle an der Gegenseitigkeit der Forderungen. Der Erstattungsanspruch aus § 37 Abs.2 AO habe nur historisch etwas mit der Umsatzsteuer zu tun. Weiter sei die Gegenforderung (Haftungsschuld) nicht fällig gewesen, so dass die notwendige Aufrechnungslage nicht gegeben bzw. erst nach Verfahrenseröffnung entstanden sei.
Die Antragstellerin beantragt,
den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Erstattung des Restguthabens wegen Umsatzsteuer 1994 bis 1997 in Höhe von 96.052,32 EUR vorzunehmen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Der Antragsgegner ist der Auffassung, der Antrag sei unzulässig, da mit der beantragten Regelungsanordnung die Hauptsache vorweggenommen würde. Das sei nur in Ausnahmefällen möglich und hierfür seien an den Anordnungsanspruch und den Anordnungsgrund strenge Anforderungen zu stellen. Dafür genüge der vorgetragene Zinsverlust nicht. Die erfolgte Aufrechnung sei zulässig gewesen.
Entscheidungsgründe
Der Antrag hat keinen Erfolg.
§ 114 Abs.1 Satz 2 Finanzgerichtsordnung -FGO- räumt dem Gericht keine schrankenlose Befugnis zum Erlass einer einstweiligen Anordnung ein. Die im Gesetz ausdrücklich genannten Gründe („wesentliche Nachteile und drohende Gewalt”) setzen Maßstäbe auch für die „anderen Gründe” im Sinne dieser Vorschrift. „Andere Gründe” rechtfertigen daher den Erlass einer einstweiligen Anordnung regelmäßig nur dann, wenn sie ähnlich gewichtig und bedeu...