Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch aus § 16 GrEStG als selbständiger Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis. Vorliegen eines sittenwidrigen Rechtsgeschäfts. Grunderwerbsteuer
Leitsatz (redaktionell)
1. Der Anspruch aus § 16 GrEStG tritt als weiterer (gegenläufiger) Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis i.S. des § 37 Abs. 1 AO selbständig neben den Steueranspruch, so dass über diesen Anspruch gesondert zu entscheiden ist. Ein entsprechender Anspruch kann im finanzgerichtlichen Verfahren nur geltend gemacht werden, wenn hinsichtlich dieses Anspruchs aus § 16 GrEStG alle Prozessvoraussetzungen gegeben sind. Im Klageverfahren gegen einen Bescheid über die Erhebung der Grunderwerbsteuer kann deshalb nicht geltend gemacht werden, der Grundstückskaufvertrag sei rückgängig gemacht worden. Es fehlt insoweit an einem abgeschlossenen außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren.
2. Ein Grundstückskaufvertrag begründet i.d.R. einen Erwerbsvorgang i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG, es sei denn, der Kaufvertrag ist sittenwidrig und damit nichtig.
3. Ein sittenwidriges Rechtsgeschäft kann allenfalls dann vorliegen, wenn Leistung und Gegenleistung im Augenblick des Vertragsabschlusses in einem auffälligen Missverhältnis stehen.
Normenkette
FGO § 44; AO 1977 § 37 Abs. 1, § 347 Abs. 1; GrEStG § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 16; BGB § 138
Nachgehend
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
Durch notariellen Vertrag vom 25. März 1994 (UR-Nr: …) des Notars … aus … erwarb die Klägerin von der Firma … den im Grundbuch von … und … verzeichneten Grundbesitz. Der Kaufpreis belief sich auf einen Betrag von DM 20.731.050 und setzte sich wie folgt zusammen:
Grundstückanteil |
DM 800.000 |
Baukosten und Baunebenkosten |
DM 17.200.000 |
Umsatzsteuer (15 v.H.) |
DM 2.731.050 |
Gesamtkaufpreis |
DM 20.731.050 |
Durch den Bescheid vom 30. April 1997 setzte der Beklagte gegen die Klägerin nach einer Bemessungsgrundlage von DM 20,7 Mio. Grunderwerbsteuer in Höhe von TDM 414 fest. Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin mit Schreiben vom 9. Mai 1997 Einspruch. Sie machte geltend, der Grunderwerbsteuerbescheid sei nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 Grunderwerbsteuergesetz (GrEStG) aufzuheben. Die Firma habe ihre kaufvertragliche Verpflichtung, das Kaufobjekt in vollem Umfang fertiggestellt und vermietet zu übergeben, nicht erfüllt. Der Firma … sei daher eine Nachfrist gesetzt worden, die fruchtlos verstrichen sei. Sie – die Klägerin – habe nunmehr unter Berufung auf § 326 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) die Entgegennahme des Grundbesitzes abgelehnt. Wegen dieser Vorgehensweise sei im Übrigen eine Klage vor dem Landgericht Frankfurt/M. anhängig. Der Beklagte wies den Einspruch durch den Einspruchsbescheid vom 30. März 1999 zurück. Er machte unter anderem geltend, dass über den Anspruch nach § 16 GrEStG in einem gesonderten Verfahren zu entscheiden sei.
Die Klägerin hat am 30. April 1999 Klage erhoben. Sie trägt vor, das vor dem Landgericht Frankfurt/M. anhängige Verfahren ruhe derzeit, weil die auf der Gegenseite auftretende Firma … aus …, an welche die Firma … ihren Kaufpreisanspruch angetreten habe, in Konkurs gegangen sei. Der Grundbesitz befinde sich in der Zwangsvollstreckung. Im Zuge dessen seien Wertgutachten erstellt worden, die für den Grundbesitz einen Wert von DM 3 Mio. bzw. von DM 6 Mio. ausgewiesen hätten. Der Kaufvertrag sei daher wegen eines krassen Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung gemäß § 138 BGB sittenwidrig. Entgegen der Auffassung des Beklagten könne der Anspruch aus § 16 GrEStG im Rahmen eines Rechtsbehelfsverfahrens gegen den Grunderwerbsteuerbescheid geltend gemacht werden. Aus der Überschrift zu § 16 GrEStG („Aufhebung”) ergebe sich, dass ein gesondertes Verfahren nicht erforderlich sei. Eine gegenteilige Auffassung würde auch gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoßen.
Die Klägerin beantragt,
den Grunderwerbsteuerbescheid des Finanzamts … vom 30. April 1997 und den Einspruchsbescheid vom 30. März 1999 … aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte macht geltend, dass die Einführung des Anspruchs aus § 16 GrEStG in das Klageverfahren eine Klageänderung bedeute. Eine Klageänderung setzte voraus, dass hinsichtlich der geänderten Klage alle Prozessvoraussetzungen vorliegen. Hier fehle es im Hinblick auf den Anspruch aus § 16 GrEStG an einem abgeschlossenen außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens.
Entscheidungsgründe
Soweit die Klägerin geltend macht, der Grunderwerbsteuerbescheid sei wegen Rückgängigmachung des Kaufvertrages gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG aufzuheben, ist die Klage unzulässig.
Der Anspruch aus § 16 GrEStG tritt als ein weiterer (gegenläufiger) Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis im Sinne des § 37 Abs. 1 Abgabenordnung (AO) selbstständig neben dem Steueranspruch, sodass über diesen Anspruch gesondert zu entscheiden ist (Pahlke in Pahlke/Franz, GrEStG, 2. Auflage, § 16 Rz. 84 m.w.N.). Daher kann die Kläger...