Entscheidungsstichwort (Thema)

Kindergeldanspruch einer arbeitslosen polnischen Staatsangehörigen bei Haushaltsaufnahme des Kindes durch die in Polen lebenden Großeltern

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Eine im Inland lebende, derzeit arbeitslose polnische Staatsangehörige hat Anspruch auf Kindergeld für ihre bei den Großeltern in Polen lebende studierende Tochter.

2. Ein Kindergeldanspruch der in Polen lebenden Großeltern, der geeignet wäre, den Kindergeldanspruch der Mutter gem. § 64 Abs. 2 S. 1 EStG auszuschließen, lässt sich nicht aus Art. 67 Verordnung (EG) Nr. 883/2004 i. V. m. der Rechtsprechung des EuGH zu der weitgehend wortgleichen Bestimmung des Art. 73 Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 herleiten.

 

Normenkette

EStG § 64 Abs. 2, § 62 Abs. 1; EGV 883/2004 Art. 67; EGV 987/2009 Art. 60 Abs. 1 S. 2; EWGV 1408/71 Art. 73

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 28.04.2016; Aktenzeichen III R 3/15)

BFH (Urteil vom 28.04.2016; Aktenzeichen III R 3/15)

 

Tenor

Unter Aufhebung des Bescheides vom 1. März 2012 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 4. Juli 2012 wird die Beklagte verpflichtet, der Klägerin Kindergeld ab September 2011 für ihre Tochter P zu bewilligen.

Die Kosten des Verfahrens werden der Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abwenden, sofern nicht die Klägerin zuvor Sicherheit leistet.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin, die im Inland lebt, ist polnische Staatsangehörige. Sie ist derzeit arbeitslos. Sie ist die Mutter der Töchter B und P. P (* 29. September 1889) studiert in Polen. Dort lebte sie bis zu ihrer Heirat am 10. August 2013 im Haushalt der Großeltern, der Eltern der Klägerin.

Mit Bescheid vom 1. März 2012 (KiG, Bl. 49) lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Kindergeld für P unter Hinweis darauf ab, dass P nicht im Haushalt der Klägerin lebe. Hiergegen legte die Klägerin am 2. April 2012 Einspruch ein (KiG, Bl. 55).

Mit Einspruchsentscheidung vom 4. Juli 2012 wies die Beklagte den Einspruch der Klägerin als unbegründet zurück (KiG, Bl. 64 ff.).

Am 3. August 2012 hat die Klägerin Klage erhoben (Bl. 1).

Die Klägerin beantragt,

unter Aufhebung des Bescheides vom 1. März 2012 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 4. Juli 2012 die Beklagte zu verpflichten, ihr Kindergeld ab September 2011 für ihre Tochter P zu bewilligen.

Die Klägerin macht geltend, sie erfülle die Voraussetzungen für die Bewilligung von Kindergeld für ihre in Polen lebende Tochter. Denn umgekehrt stünde das Kindergeld nicht den Großeltern ihrer Tochter zu.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte verweist darauf, dass Deutschland im Falle der Klägerin vorrangig für die Zahlung des Kindergeldes zuständig sei. Allerdings lebe die Tochter der Klägerin nicht in deren Haushalt, sondern in dem der Großeltern. Infolgedessen müsse das Kindergeld von den Großeltern von P beantragt werden (Bl. 16 f.).

Der Senat hat mit Gerichtsbescheid vom 17. Februar 2014, zugestellt am 14. März 2014 (Bl. 60), die Beklagte verpflichtet, der Klägerin für P Kindergeld ab September 2011 zu bewilligen. Die Beklagte hat am 28. März 2014 (Bl. 61) Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, die Akten der Beklagten sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und auch begründet. Die Ablehnung der Kindergeldfestsetzung ist rechtswidrig. Der Klägerin – und nicht deren Eltern – steht das Kindergeld für P zu.

1. Nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG besitzt einen Anspruch auf Kindergeld, wer im Inland einen Wohnsitz hat. Als Kinder werden nach § 63 Abs. 1 Nr. 1 EStG Kinder im Sinne des § 32 Abs. 1 EStG berücksichtigt.

Die Klägerin hat einen Kindergeldanspruch, unabhängig davon, ob P in ihrem Haushalt lebte oder nicht. Dies ergibt sich im Übrigen aus Art. 67 VO (EG) Nr. 883/2004 vom 29. April 2004. Die Haushaltsaufnahme spielt lediglich dann eine Rolle, wenn mehrere Berechtigte vorhanden sind.

Dies ist hier nicht der Fall. Den Großeltern von P steht nicht allein auf Grund der Aufnahme von P in ihren Haushalt ein Anspruch auf (inländisches) Kindergeld zu.

Anspruchsberechtigt i. S. des § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG bzw. § 3 Abs. 2 Satz 1 BKGG können nur solche Personen sein, die selbst die Anspruchsvoraussetzungen gemäß § 62 Abs. 1 EStG bzw. § 1 Nr. 1 bis 4 BKKG erfüllen (vgl. dazu FG Rheinland-Pfalz vom 23. März 2011 2 K 2248/10, EFG 2011, 1323). Dies ist bei den jeweils in Polen lebenden Großeltern von P jedoch nicht der Fall. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass diese einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben oder nach § 1 Abs. 3 EStG als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt werden oder nach § 1 Abs. 1 BKGG anspruchsberechtigt wären.

Ein Kindergeldanspruch der in Polen lebenden Großeltern, der geeignet wäre, den Kindergeldanspruch der Klägerin gemäß § 64 Ab...

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