Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeldanspruch einer polnischen Saisonarbeiterin, Anwendbarkeit der VO (EWG) 1408/71 außerhalb der Zeiträume der Tätigkeit im Inland
Leitsatz (redaktionell)
- Die Vorschrift des § 65 Abs. 1 Nr. 2 EStG wird in den Zeiträumen, in denen eine polnische Saisonarbeiterin nicht sozialversicherungspflichtig im Inland als Arbeitnehmer tätig war, nicht durch die die VO (EWG) 1408/71 verdrängt.
- Auch die Behandlung als unbeschränkt einkommensteuerpflichtiger Arbeitnehmer nach § 1 Abs. 3 EStG begründet deshalb in diesen Zeiträumen keinen Anspruch auf Kindergeld, wenn für das in Polen wohnhafte Kind dem deutschen Kindergeld vergleichbare polnische Familienleistungen gewährt wurden.
- § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr.2 EStG ist nicht verfassungswidrig und verstößt auch nicht gegen das europäische Gemeinschaftsrecht.
Normenkette
EStG § 1 Abs. 3, § 65 Abs. 1 S. 1 Nr. 2; VO 1408/71/EWG
Nachgehend
Tatbestand
Die Klägerin ist polnische Staatsangehörige und arbeitete sozialversicherungspflichtig in der Zeit vom 26.5. bis 26.7.2008 bei einem deutschen Arbeitgeber in der Bundesrepublik Deutschland. Am 30.3.2009 beantragte sie für ihre drei in Polen lebenden Kinder B (geb. 9.12.1995), C (geb. 10.8.2000) und D (geb. 15.4.2004) Kindergeld. Sie gab an, dass sie für die Kinder im Zeitraum von August 2007 bis Dezember 2008 polnische Familienleistungen erhalten habe. Der Beklagte holte mit einem Formular E 411 für den Zeitraum Mai bis Juli 2008 entsprechende Auskünfte ein. Die zuständige polnische Behörde bestätigte den Bezug von polnischem Kindergeld für den fraglichen Zeitraum. Mit Bescheid vom 11.6.2010 lehnte die Beklagte die Gewährung von Kindergeld für den Zeitraum Mai bis Juli 2008 zunächst ab. Die Klägerin erhob hiergegen am 21.72010 Einspruch. Mit weiteren hier streitigen Bescheiden vom 17.12.2010 lehnte die Familienkasse für die Zeiträume Januar 2005 bis April 2008 und ab August 2008 die Gewährung von Kindergeld ab. Die Klägerin ließ hiergegen am 18.1.2008 Einspruch einlegen. Sie trug vor, sie sei im Jahre 2008 auf Antrag als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig in Deutschland behandelt worden. Mit Einspruchsentscheidungen vom 28.1.2011 wies die Beklagte die Einsprüche als unbegründet zurück. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird Bezug genommen auf den Inhalt dieser Entscheidungen.
Hiergegen richten sich die am 28.2.2011 und 1.3.2011 erhobenen Klagen mit denen die Klägerin im Wesentlichen geltend macht, ihr stehe auf Grund ihrer nichtselbständigen Beschäftigung in Deutschland für das gesamte Jahr 2008 deutsches Kindergeld zu. Es dürfte zu ermitteln sein, ob in Polen für den streitigen Zeitraum dem deutschen Kindergeld vergleichbare Leistungen gezahlt wurden. Der Ausschluss des Kindergeldes durch den Bezug ausländischer Leistungen nach § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG sei verfassungswidrig und verstoße gegen gemeinschaftsrechtliche Vorschriften. Dies werde durch die Schlussanträge in dem Verfahren vor dem EuGH C-225/10 bestätigt.
Die Klägerin beantragt schriftsätzlich,
unter Aufhebung der Bescheide vom 17.12.2010 und der Einspruchsentscheidungen vom 28.1.2011 die Beklagte zu verpflichten, ihr für ihre drei Kinder Kindergeld in gesetzlicher Höhe für die Zeiträume Januar bis April und August bis Dezember 2008 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klagen abzuweisen,
und bezieht sich auf die Gründe ihrer Einspruchsentscheidungen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter an Stelle des Senats einverstanden erklärt und auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten und der von der Familienkasse vorgelegten Kindergeldakte.
Entscheidungsgründe
Die Klagen, sind nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide vom 17.12.2009 in der Gestalt der Einspruchsentscheidungen vom 28.1.2011 sind rechtmäßig. Der Klägerin steht für die Zeiträume Januar bis April und August bis Dezember 2008 kein Kindergeld zu.
Nach § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG wird Kindergeld für ein Kind nicht gezahlt, für das Leistungen im Ausland gezahlt werden oder bei Antragstellung hätten gezahlt werden müssen, die dem deutschen Kindergeld vergleichbar sind. Es unterliegt keinem Zweifel, dass die in Polen gezahlten Kindergeldleistungen, auch wenn sie betragsmäßig deutlich unter den jeweiligen Sätzen des deutschen Kindergeldes nach § 66 EStG liegen, dem deutschen Kindergeld vergleichbar sind. Nach den Angaben der Klägerin in dem Kindergeldantrag bezog diese in Polen für ihre drei Kinder in den fraglichen Zeiträumen polnisches Kindergeld. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, an der Richtigkeit dieser Angabe zu zweifeln. Die Klägerin behauptet im Klageverfahren auch nicht, dass sie entgegen ihrer eigenen Angabe im Kindergeldantrag tatsächlich keine polnischen Familienleistungen bezoge...