Entscheidungsstichwort (Thema)

Abweichende Zinsfestsetzung auf Umsatzsteuernachforderungen aus Billigkeitsgründen: Liquiditätsvorteil bei unberechtigter Inanspruchnahme des Vorsteuerabzuges – Saldierung mit Umsatzsteuerzahlung des Leistungserbringers – Gesamtbetrachtung bei Leistungen zwischen beteiligungsidentischen Kapitalgesellschaften

 

Leitsatz (redaktionell)

  1. Die Zinsfestsetzung auf Umsatzsteuernachforderungen wegen unberechtigter Inanspruchnahme des Vorsteuerabzuges auf Eingangsumsätze ist nicht deshalb sachlich unbillig, weil sich Vor- und Nachteil der verspäteten Festsetzung beim Fiskus per saldo wegen des Zusammenhanges von Umsatzsteuer und abziehbarer Vorsteuer ausgleichen (vgl. BFH-Rspr.).
  2. Dies gilt auch dann, wenn Leistungserbringer und Leistungsempfänger beteiligungsidentische Kapitalgesellschaften sind.
 

Normenkette

AO § 163 Abs. 1 S. 1, §§ 227, 233a, 239 Abs. 1 S. 1

 

Streitjahr(e)

2010, 2011, 2012, 2013

 

Nachgehend

BFH (Beschluss vom 11.05.2020; Aktenzeichen V B 76/18)

 

Tatbestand

Die Klägerin ist eine Kapitalgesellschaft mit beschränkter Haftung niederländischen Rechts mit Sitz in B, Niederlande. Gegenstand des Unternehmens ist ein Handel mit Produktbezeichnung .

Die Schwestergesellschaft der Klägerin (identische Beteiligungsverhältnisse), die A - GmbH, hat ihren Sitz in C.

Am…2015 begann bei der Klägerin eine Betriebsprüfung durch das Finanzamt für Groß- und Konzernbetriebsprüfung ..., welche Umsatzsteuer 2010 bis 2013 umfasste. Der Prüfer stellte u.a. Folgendes fest:

„Tz. 2.2 Abziehbare Vorsteuer aus Rechnungen über sonstige Leistungen

2.2.1 Provisionen A- GmbH

Die A- B.V. verkauft eigene Waren an Kunden der A- GmbH. Nach Aussage der Bfa hat die A- GmbH keine eigene Ware. Die Ware wird in eigenem Namen und auf eigene Rechnung (kein Kommissionsgeschäft) auch an Kunden der A- GmbH veräußert. Gemäß Vertrag vom ...2005 erhält die A- GmbH für die Überlassung der eigenen Kunden an die A- B.V. eine Umsatzbeteiligung von 8%. Hierüber wurden monatliche Gutschriften mit offenem Ausweis der deutschen Umsatzsteuer von der Bfa erstellt. Die Umsatzsteuer wurde als Vorsteuer in den Umsatzsteuererklärungen abgezogen.

Des Weiteren erhält die A- GmbH einen Ausgleich für Internetkosten von der Bfa.

Die geltend gemachte Vorsteuer ist nicht zu berücksichtigen, die Begründung hierfür ergibt sich aus den Ausführungen der Tz 2.2.3”

In Tz. 2.2.3 des Prüfungsberichtes vom ...2015 führte der Prüfer aus, dass seit dem Kalenderjahr 2010 die Ortsbestimmung für sonstige Leistungen in § 3a UStG geändert worden sei mit der Folge, dass gemäß § 3a Abs. 2 UStG die Leistungen der A- GmbH (und der übrigen in Tz. 2.2.aufgeführten Firmen) in Deutschland nicht steuerbar seien. Die leistenden Firmen hätten zu Unrecht Umsatzsteuer ausgewiesen und würden diese nach § 14c Abs. 1 UStG schulden. Auf den weiteren Inhalt des Prüfungsberichtes vom ...2015 wird verwiesen.

Mit Schreiben vom ...2015 bat die Klägerin, bei der Auswertung des Prüfungsberichtes zu berücksichtigen, dass die A- GmbH in Kürze geänderte Rechnungen ohne Umsatzsteuerausweis erstellen werde. Die A- GmbH werde der Klägerin den Erstattungsanspruch gegenüber dem Finanzamt abtreten, um hiermit die Verbindlichkeiten aus dem Wegfall der Umsatzsteuer zu begleichen und der Klägerin die Aufrechnungsmöglichkeit mit der Umsatzsteuernachforderung aufgrund der Betriebsprüfung zu verschaffen.

Des Weiteren beantragte die Klägerin, die Nachzahlungszinsen aus Billigkeitsgründen gemäß § 163 AO abweichend festzusetzen, hilfsweise diese gemäß § 227 AO zu erlassen. Die Festsetzung von Nachzahlungszinsen sei, soweit die Umsatzsteuernachforderungen auf Leistungen der A- GmbH entfalle, aus sachlichen Gründen unbillig. Die Umsatzsteuernachforderung beruhe darauf, dass die seinerzeit steuerlich nicht beratene „A--Unternehmensgruppe” die Änderung der Bestimmung des Ortes von sonstigen Leistungen (§ 3a UStG) zum 01.01.2010 übersehen habe.

a) Bei einer Gesamtbetrachtung der Umstände sei zu berücksichtigen, dass weder der Klägerin noch dem Fiskus tatsächlich ein Zinsvorteil oder Zinsnachteil entstanden sei. Dies gelte umso mehr, als Leistungserbringer und Leistungsempfänger personenidentische Körperschaften seien. Hätten die Unternehmen den Vorgang von vornherein nicht als steuerbar behandelt, hätte sich für den Fiskus saldiert derselbe Anspruch ergeben. Auch die Klägerin habe keinen Zinsvorteil gehabt, weil sie den Vorsteuerbetrag an die A- GmbH gezahlt habe, welche ihrerseits die zu Unrecht erhaltene Steuer an das Finanzamt abgeführt habe.

b) Auch in den Niederlanden sei kein Steuerschaden entstanden, weil der von der Klägerin im Reverse-Charge-Verfahren geschuldeten Umsatzsteuer ein zeitgleicher Vorsteuerabzug in gleicher Höhe gegenüber gestanden habe.

c) Ferner werde auf ein Aufsatz von Nieskens, MwStR 2015, 243, aufmerksam gemacht (Anmerkung zu EuGH-Urteil Equoland vom 17.07.2014 - C-272/13). Auch im Streitfall hätten sich die Klägerin und ihre Schwestergesellschaft irrtümlich darauf geeinigt, dass kein ...

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