Entscheidungsstichwort (Thema)
Erstattung von Kapitalertragsteuern und Motivtest (sog. principal-purpose-Test) gemäß § 50d Abs. 3 EStG i.d.F des AbzStEntModG
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Neufassung des § 50d Abs. 3 EStG durch das AbzStEntlModG vom 2.6.2021 (§ 50d EStG n.F.) enthält – unabhängig von der Verletzung unionsrechtlicher Grundfreiheiten im jeweiligen Einzelfall – die Möglichkeit eines Gegenbeweises bzw. Motivtests (sog. principal-purpose-Test) dahingehend, dass keiner der Hauptzwecke der Einschaltung der die Kapitalerträge erzielenden Körperschaft die Erlangung eines steuerlichen Vorteils ist.
2. Ist der Gegenbeweis (Motivtest) i.S.v. § 50d Abs. 3 Satz 2 EStG n.F. geführt, können eine Entscheidung zur Anwendbarkeit von § 50d Abs. 3 EStG a.F. und das Ergebnis einer Überprüfung anhand dieser Vorschrift ebenso offenbleiben wie eine Entscheidung, ob eine sachliche und/oder persönliche Entlastungsberechtigung i.S.v. § 50d Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und 2 EStG n.F. gegeben ist.
3. Bei der Führung des Gegenbeweises i.S.v. § 50d Abs. 3 Satz 2 EStG n.F. ist die Einbeziehung der Konzernverhältnisse möglich, wobei eine Würdigung sämtlicher rechtlicher und tatsächlicher Umstände des Einzelfalls vorzunehmen ist und die Struktur und die Strategie einer Unternehmensgruppe, die Funktionen einzelner Gesellschaften der Unternehmensgruppe sowie unternehmerische Beurteilungsspielräume zu berücksichtigen sind (hier: Positiver Motivtest hinsichtlich einer Unternehmensgruppe der internationalen Schifffahrtsbranche mit Ansässigkeiten u.a. in Zypern, Liberia, Jersey; Investmenttätigkeiten; Funktionsaufteilung zwischen Einschiffs-Gesellschaften und Managementgesellschaft aus außersteuerlichen Gründen).
Normenkette
EStG § 50d Abs. 3 Sätze 1-2, § 49 Abs. 1 Nr. 5 a), § 50d Abs. 1 S. 2
Nachgehend
BFH (Aktenzeichen I B 31/23) |
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Klägerin ein Anspruch auf Erstattung von Kapitalertragsteuer gemäß § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG zusteht. Dabei sind zwei Anträge streitbefangen, die die Jahre 2010 und 2011 betreffen. Im zwischenzeitlich zweiten Rechtsgang streiten die Beteiligten nur noch über die Anwendung von § 50d Abs. 3 EStG.
Die Klägerin ist eine am … 2008 gegründete, auf Zypern ansässige Kapitalgesellschaft. Ihr Geschäftszweck ist, Beteiligungen an Unternehmen der Touristik- und Schifffahrtsbranche für eine gewisse Dauer als strategischer oder finanzieller Investor zu erwerben und zu halten. Sie ist im Hinblick auf ihre Beteiligungen nicht selbst geschäftsleitend tätig. Die Managementleistungen werden vielmehr von einem nahestehenden Unternehmen, der in Zypern ansässigen F Co. Ltd., wahrgenommen. Die Klägerin verfügt über keine eigene physische Präsenz, sondern nutzt die Räumlichkeiten der F Co. Ltd.
Bereits im … 2008 hielt die Klägerin … K-Aktien, was einem Anteil von ca. 11 % des Grundkapitals der in Deutschland ansässigen K AG entsprach. Im Jahr 2009 zeichnete sie … Stück Wandelanleihen des Typs … an der K AG. Der Nennbetrag je Wandelschuldverschreibung betrug … €. In gleicher Höhe wurde eine Teilschuldverschreibung durch die K AG ausgegeben. Die Wandelschuldverschreibung wurde mit 5,5 % p.a. verzinst. Die Beteiligungshöhe an der K AG belief sich in den Jahren 2010 und 2011 auf ca. 15 %. Hintergrund der Beteiligung war nach einem Schreiben der Klägerin an die Mitaktionäre im Jahr …, dass die K AG das Unternehmen X kontrolliert. X wurde als ein gut geführtes Unternehmen mit einer bedeutenden strategischen Position im europäischen Markt für …schifffahrt, einem ausgezeichneten Entwicklungspotential und einer sehr gut etablierten Marke angesehen (vgl. Schreiben der Klägerin an die Aktionäre der K AG aus …, Bl. 101 ff. der Verwaltungsakte des Beklagten, –VA–).
2010, im ersten Streitjahr, verfügte die Klägerin über keine Tochtergesellschaft, im zweiten Streitjahr war sie zu 100 % an der Y Verwaltungsgesellschaft mbH beteiligt (vgl. im zweiten Rechtsgang vorgelegte Bilanzunterlagen, Bl. 371 ff. eFG-Akte).
Die Anteile an der Klägerin wurden zu 100 % von der in Liberia ansässigen D S.A. gehalten. Auch diese Gesellschaft verfügte über keine Substanz.
Die Anteile an der D S.A. wurden zu 100 % von der in Zypern ansässigen C Ltd. gehalten. Auch diese Gesellschaft verfügte über keine physische Präsenz, sondern nutzte die Räumlichkeiten ihrer Schwestergesellschaft, der F Co. Ltd. Die C Ltd. war nicht selbst operativ tätig und verfügte über keine eigenen Arbeitnehmer. Sie war mittelbar und unmittelbar an verschiedenen Unternehmen beteiligt und übte bis zum Beginn des Streitjahres 2010 in geringem Umfang Finanzierungsfunktionen aus. Sie war gegenüber ihren Tochtergesellschaften nicht selbst geschäftsleitend tätig. Die Geschäftsleitungsfunktion in Bezug auf ihre Tochtergesellschaften wurde ebenfalls von der F Co. Ltd. wahrgenommen.
Die F Co. Ltd. ist wirtschaftlich tätig. Sie verfügt über eigene Büroräume und Personal. Die Büroräume sind mit den erforderlichen Arbeitseinrichtungen und den notwendigen Kommunikati...