Entscheidungsstichwort (Thema)
Änderung wegen neuer Tatsache, Treu und Glauben, Verletzung von Mitwirkungspflichten, Abgrenzung freiberufliche und gewerbliche Tätigkeit, Abfärbung
Leitsatz (redaktionell)
1) Neue Tatsache i.S.v. § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO ist die Kenntnis über die konkrete Höhe der in Betriebsstätten erzielten Einnahmen und das Fehlen von Aufzeichnungen, aus denen sich eine direkte Zuordnung von Einnahmen und Ausgaben auf die Betriebsstätten ergibt. Dies gilt ungeachtet einer bereits bestehenden Kenntnis des Finanzamts von der Existenz einer ausländischen Betriebsstätte und der Nichterfassung der dort erzielten Einkünfte in der Gewinnermittlung.
2) Das Finanzamt ist trotz fehlender Ermittlung zu einem steuerrelevanten Sachverhalt nicht nach Treu und Glauben an einer Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO gehindert, wenn der Steuerpflichtige gegen die Mitwirkungspflicht zur Unterbreitung des steuerlich relevanten Sachverhalts in Übereinstimmung mit den gemäß Erklärungsvordruck geforderten Angaben i.S.v. § 150 Abs. 1 Satz 1 AO verstößt.
3) Eine Personengesellschaft erzielt trotz Dolmetscher- und Ingenieurtätigkeit mangels unmittelbarer persönlicher Arbeitsleistung keine freiberuflichen Einkünfte i.S.v. § 18 Abs. 1 EStG, sondern gemäß § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG insgesamt gewerbliche Einkünfte, wenn Übersetzungsarbeiten in Sprachen erfolgen, die nicht deren Gesellschafter, sondern nur Fremdübersetzer beherrschen.
Normenkette
AO § 173 Abs. 1 Nr. 1; EStG § 15 Abs. 3 Nr. 1, § 18 Abs. 1; AO § 150 Abs. 1 S. 1
Nachgehend
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Beklagte berechtigt war, den Bescheid über die gesonderte und einheitliche Gewinnfeststellung für den Veranlagungszeitraum 2005 nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung – AO – zu ändern, oder ob dem der Grundsatz von Treu und Glaube entgegensteht (Verfahren 15 K 883/10).
Ferner ist streitig, ob der festzustellende Gewinn unter die Einkunftsart Gewerbebetrieb fällt.
Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde.
Die Klägerin ist eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, die in allen Streitjahren Einkünfte aus Übersetzer- und Dolmetschertätigkeit erzielte. Im September 2009 verlegte die Klägerin ihren zuvor in der A-Straße …, … B, belegenen inländischen Betriebssitz in die C-Straße …, … D. Aufgrund einer zwischen dem Beklagten und dem Finanzamt D geschlossenen Zuständigkeitsvereinbarung gem. § 26 Satz 2 AO blieb der Beklagte (u.a.) bis zur Beendigung des Rechtsbehelfsverfahrens gegen den angefochtenen Gewinnfeststellungsbescheid für die Besteuerung der Klägerin zuständig. Wegen der Einzelheiten wird auf den Schriftverkehr zwischen dem Beklagten und dem Finanzamt D vom 18. Oktober und 2. Dezember 2009 verwiesen (Blatt 254, 255 der Prozessakte 15 K 57/11).
Gesellschafter der Klägerin waren in den Streitjahren Frau E und Herr F. Frau E ist von Beruf Dipl.-Übersetzerin; Herr F absolvierte nach einem Unfall in den Jahren 1989 bis 1991 eine zweijährige Ausbildung zum staatlich geprüften Techniker (NC-Programmierer). Anschließend absolvierte er ein Studium als Dipl.-Ingenieur an der Fachhochschule B, das er im Juli 1995 erfolgreich abschloss. In den Streitjahren verfügte Herr F bereits über eine jahrelange Erfahrung als Programmierer für Datenbanken und als Fachübersetzer in den Sprachen Deutsch, Spanisch und Englisch.
Die Klägerin selbst war und ist spezialisiert auf technische Übersetzungen. Wie in anderen spezialisierten Übersetzungsbüros ist sie dabei aufgrund des beruflichen Werdegangs und der Erfahrungen des Herrn F in der Lage, ihren Kunden zusätzliche Ingenieurleistungen wie bspw. Projektmanagement, Terminologiearbeit, IT-Leistungen, etc. zur Verfügung zu stellen. Aufgrund der Maschinenbaukenntnisse des Herrn F ist sie überdies in der Lage, die Leistungen eines technischen Redakteurs anzubieten.
Wegen der Spezialisierung auf den Maschinenbaubereich bearbeitete die Klägerin Texte mit hoher Textwiederholungsrate. Dabei bestellten die Kunden Übersetzungen der von ihnen selbst erstellten Dokumentationen. Die Klägerin erstellte hieraus qualitativ hochwertige, fertig übersetzte und layoutete Handbücher, Bedienungsanleitungen, etc.. Die Bearbeitung der Dokumentationen erfolgte in speziellen Programmen wie z.B. Framemaker, Interleaf, QuarkXpress. Aufgrund der technischen Erfahrung des Herrn F konnte die Klägerin dabei Dokumentationen mit hoher Komplexität bearbeiten (z.B. Mietanlagen für Luftfahrtindustrie, Werkzeugmaschinen, Straßenbaumaschinen, etc.). Hierzu setzte die Klägerin von Anfang an Translation-Memory-Systeme – TMS – ein, die sämtliche übersetzten Segmente abspeichern konnten. Wenn der gleiche Satz in einem zukünftigen Übersetzungsprojekt wieder benötigt wurde, konnte das System ihn automatisch zur Verfügung stellen. Die für die Verwaltung und die Arbeit mit diesen Systemen benötigten besonderen Fachkenntnisse brachte Herr F aufgrund seines beruflichen Werdeganges mit.
Anfangs bot die Klägerin ihren Kunden lediglich Überset...