rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Ohne Freigabeerklärung des Insolvenzverwalters keine Berechtigung des Finanzamts zur Aufrechnung von vor der Insolvenz entstandenen Einkommensteuerschulden des Insolvenzschuldners mit einem nach Insolvenzeröffnung entstandenen Vorsteuererstattungsanspruch
Leitsatz (redaktionell)
Das Finanzamt ist wegen des Aufrechnungsverbots des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO nicht berechtigt, einen während des Insolvenzverfahrens aufgrund einer mit Zustimmung des Insolvenzverwalters ausgeübten Tätigkeit des Insolvenzschuldners (hier: Tätigkeit des Insolvenzschuldners als selbstständiger Architekt) entstandenen Vorsteuererstattungsanspruch mit einer bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstandenen Einkommensteuerschuld des Insolvenzschuldners aufzurechnen, wenn der Insolvenzverwalter den Vorsteuererstattungsanspruch nicht insolvenzrechtlich wirksam freigegeben hat.
Normenkette
InsO § 96 Abs. 1 Nr. 1, § 35 Abs. 1-2, § 36 Abs. 1, § 82; ZPO § 811 Abs. 1 Nr. 5; AO § 226 Abs. 1, § 218 Abs. 1; BGB § 387
Nachgehend
Tenor
Der Abrechnungsbescheid des Beklagten vom 11.05.2006 und die dazu ergangene Einspruchsentscheidung vom 08.03.2007 werden aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Der Streitwert wird auf 1.000,00 EUR festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Aufrechnungsbefugnis des Finanzamtes gegenüber einem Umsatzsteuererstattungsanspruch des Insolvenzschuldners aufgrund wieder aufgenommener freiberuflicher Tätigkeit.
In dem Insolvenzverfahren über das Vermögen des Architekten L. wurde durch Eröffnungsbeschluss des Amtsgerichts Rostock vom 01.07.2002 wegen Zahlungsunfähigkeit das Insolvenzverfahren eröffnet. Zum Insolvenzverwalter wurde der Kläger bestellt. Das Insolvenzverfahren ist noch nicht abgeschlossen.
Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens nahm der Insolvenzschuldner mit Zustimmung des Involvenzverwalters seine selbständige Tätigkeit als Architekt wieder auf.
Am 28.03./04.04.2006 reichte der Insolvenzschuldner beim Finanzamt die Umsatzsteuerjahreserklärung für 2004 ein. Die Umsatzsteuerjahreserklärung schloss mit einem Minusbetrag von 410,46 EUR. Das Finanzamt stimmte der Umsatzsteuererklärung zu. Den Erstattungsbetrag von 410,46 EUR buchte das Finanzamt auf rückständige Einkommensteuer des Insolvenzschuldners für 1996 um. Die Umbuchungsmitteilung gegenüber dem Kläger datiert vom 24.04.2006.
Mit Schreiben vom 28.04.2006 widersprach der Kläger der vom Finanzamt vorgenommenen Umbuchung. Zur Begründung führte er aus, dass das Umsatzsteuerguthaben von 410,46 EUR erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden und daher an den Insolvenzverwalter zur Masse auszukehren sei. Zugleich beantragte er die Erteilung eines Abrechnungsbescheides gemäß § 218 AO.
Der Abrechnungsbescheid des Finanzamtes erging unter dem 11.05.2006. Das Finanzamt – FA – führte aus, dass der Erstattungsanspruch aus der Umsatzsteuerjahreserklärung für 2004 durch Aufrechnung mit dem seit dem 21.10.1998 fälligen Einkommensteueranspruch gemäß § 47 i. V. m. § 226 AO erloschen sei. Der Insolvenzschuldner habe seine selbständige Tätigkeit als Architekt mit nach § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO unpfändbaren Gegenständen wieder aufgenommen. Eine aus dieser Tätigkeit resultierende Umsatzsteuerschuld sei keine Masseverbindlichkeit. Dann könne aber auch ein aus derselben Tätigkeit resultierender Umsatzsteuer-Erstattungsanspruch nicht zur Insolvenzmasse gehören.
Dagegen legte der Kläger rechtzeitig Einspruch ein, in dem er weiterhin die Auffassung vertrat, dass das Umsatzsteuerguthaben des Insolvenzschuldners zur Masse gehöre. Die Aufrechnung mit der vor Insolvenzeröffnung begründeten Einkommensteuerschuld sei daher gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO unzulässig. Die Insolvenzmasse umfasse gemäß §§ 35, 36 Insolvenzordnung – InsO – das gesamte pfändbare Vermögen des Schuldners, und zwar sowohl das zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung vorhandene als auch das nach Verfahrenseröffnung erworbene Vermögen. Vorsteuerüberhänge, die der Insolvenzschuldner nach Verfahrenseröffnung aufgrund seiner neuen unternehmerischen Tätigkeit erziele, seien daher an den Insolvenzverwalter auch dann auszukehren, wenn diese Tätigkeit mit Hilfe unpfändbarer Gegenstände im Sinne des § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO ausgeübt würde. Zu Unrecht berufe sich das Finanzamt auf das Urteil des BFH vom 07.04.2005 – V R 5/04 (BFHE 210, 256, BStBl II 2005, 848). Dieses Urteil treffe nur eine Aussage zu den Umsatzsteuerverbindlichkeiten aus einem Neuerwerb, nicht aber zu einem etwaigen Steuerguthaben des Schuldners. Das Umsatzsteuerguthaben sei pfändbar und gehöre daher auch nach §§ 35, 36 Abs. 1 InsO zur Masse. Der Fall sei vergleichbar mit dem Einkommensteuerguthaben eines Arbeitnehmers, der nur unpfändbare Einkünfte beziehe. Auch dieses Steuerguthaben aus einer Veranlagung für die Zeit nach Eröffnung gehöre nach den §§ 35, 36 InsO zur Insolvenzmasse, obwohl es aus unpfändbarem Ve...