Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfassungsmäßigkeit der Erhebung des Solidaritätszuschlages ab dem Jahr 2020: Fehlendes Rechtsschutzbedürfnis einer Klage gegen eine hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO vorläufige Festsetzung des Solidaritätszuschlags
Leitsatz (redaktionell)
1. Ist der angefochtene Bescheid über den Solidaritätszuschlag zur Einkommensteuer 2020 gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO vorläufig „hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit des SolZG 1995” ergangen und war bei Erlass des Bescheides das SolZG in der durch das Gesetz zur Rückführung des Solidaritätszuschlags vom 10.12.2019 geänderten Fassung, BGBl 2019 I S. 2115 (im Folgenden: SolZG n.F.) bereits in Kraft getreten sowie das Schreiben BMF, Schreiben v. 4.1.2021, V A 3 – S 0338/19/10006 :001, BStBl 2021 I S. 49, bereits veröffentlicht, so erstreckt sich die Vorläufigkeit materiell-rechtlich bereits auf die Verfassungsmäßigkeit des SolZG n.F. nach dem Auslaufen des Solidarpakts II und verfahrensrechtlich auf alle einschlägigen offenen Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht, Az beim BVerfG 2 BvL 6/14, Az beim BVerfG 2 BvR 1421/19, Az beim BVerG 2 BvR 1505/20, sowie die Revisionsverfahren, Az beim BFH IX R 15/20 bzw. Az beim BFH IX R 9/22. Dem Steuerpflichtigen fehlt daher das Rechtsschutzbedürfnis für eine Klage zur Klärung der Frage, ob das Solidaritätszuschlaggesetz 1995 vom 15.10.2002, BGBI 2002 I S. 4130, in der durch das Gesetz zur Rückführung des Solidaritätszuschlags vom 10.12.2019 geänderten Fassung, BGBl 2019 I S. 2115 ab dem Jahr 2020, verfassungsgemäß ist (Abgrenzung zu FG Baden-Württemberg, Urteil v. 16.5.2022, 0 K 1693/21, EFG 2022 S.1397).
Normenkette
AO § 165 Abs. 1 S. 2 Nr. 3; SolZG 1995 § 1 Abs. 1, §§ 3-4; GG Art. 2-3, 14, 19 Abs. 4; FGO § 40 Abs. 2
Nachgehend
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
I.
Streitig ist, ob die Klägerin ein Rechtsschutzbedürfnis für ihre Klage gegen die Festsetzung des Solidaritätszuschlags (SolZ) 2020 hat und ob das Solidaritätszuschlaggesetz 1995 vom 15. Oktober 2002 (Bundesgesetzblatt – BGBI – I 2002, 4130; im Folgenden SolZG a.F.) in der durch das Gesetz zur Rückführung des SolZ vom 10. Dezember 2019 geänderten Fassung (BGBl I 2019, 2115; im Folgenden SolZG n.F.) ab dem Jahr 2020 verfassungsgemäß ist.
Die Klägerin wurde im Streitjahr einzeln zur Einkommensteuer veranlagt.
Der Beklagte (Finanzamt – FA –) setzte mit Bescheid vom 6. September 2021 neben der erklärungsgemäß festgesetzten Einkommensteuer 2020 auch einen SolZ zur Einkommensteuer 2020 i.H.v. 1.232, 45 EUR fest. Der Bescheid erging gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO vorläufig hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit des SolZG 1995.
Den nur gegen den SolZ-Bescheid 2020 erhobenen Einspruch begründete die Klägerin damit, dass die Erhebung des SolZ an sich ab dem Jahr 2020 verfassungswidrig sei. Dies ergebe sich aus dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 21. Juli 2011 II R 50/09, wonach das SolzG a.F. als zeitlich befristete Ergänzungsabgabe mit dem Auslaufen des Solidaritätspakts II, also mit Ablauf des Jahres 2019, seine Legitimation verliere. Das SolZG n.F. sei auch insoweit verfassungswidrig, als höhere Einkommen ab 2021 weiter mit dem SolZ belastet würden. Die durch das SolZG n.F. beschränkte Erhebung des SolZ von Steuerbürgern mit höherem Einkommen sei willkürlich bzw. eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung. Das SolZG n.F. verstoße gegen Art 106 Grundgesetz (GG) sowie die Art. 2, Art. 3 und Art. 14 GG und sei deshalb insgesamt verfassungswidrig. Der SolZ-Bescheid 2020 sei daher aufzuheben und der SolZ ab 2021 auf 0 EUR festzusetzen.
Nach entsprechendem Hinweis verwarf das FA den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 18. Januar 2022 als unzulässig. Dem Einspruch fehle mit Blick auf den o.g. Vorläufigkeitsvermerk das Rechtsschutzbedürfnis, da im Schreiben des Bundesfinanzministeriums (BMF) vom 4. Januar 2021, BStBl I 2021, 49, klargestellt sei, dass der Vorläufigkeitsvermerk ab dem Jahr 2020 auch die Frage umfasse, ob die fortgeltende Erhebung des SolZ nach dem Auslaufen des Solidarpakts II zum 31. Dezember 2019 verfassungsgemäß sei.
Ihre hiergegen erhobene Klage begründete die Klägerin damit, dass der Vorläufigkeitsvermerk im SolZ-Bescheid 2020 in diesem Wortlaut seit dem Jahr 2013 existiere und auf ein zuletzt beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) anhängiges Verfahren Az. 2 BvL 6/14 betreffend den SolZ 2007 zurückzuführen sei. Der Vorläufigkeitsvermerk habe sich daher nicht auf die Frage der Verfassungsmäßigkeit nach dem Auslaufen des Solidarpakts II erstreckt. Das FA könne sich auch nicht auf das BMF-Schreiben in BStBl I 2021, 49 berufen, da dies nicht in den angefochtenen SolZ-Bescheid 2020 eingeflossen sei und allenfalls die weisungsgebundenen Finanzbehörden binde. Im Streitfall lägen zudem – substantiiert vorgetragene – besondere Gründe materiell-rechtlicher und verfahrensrechtlicher...