Entscheidungsstichwort (Thema)
Reichweite der Verpflichtung zur Vorlage von elektronischen Aufzeichnungen bei Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Befugnisse aus § 147 Abs. 6 AO stehen der Finanzbehörde nur in Bezug auf solche Unterlagen zu, die der Steuerpflichtige nach § 147 Abs. 1 AO aufzubewahren hat (Anschluss an BFH, Urteil v. 24.6.2009, VIII R 80/06).
2. Für Steuerpflichtige mit selbstständigen oder gewerblichen Einkünften, die zulässigerweise gem. § 4 Abs. 3 EStG als Gewinn den Überschuss der Betriebseinnahmen über die Betriebsausgaben ansetzen, ist der sachliche Umfang der Aufbewahrungspflicht – und mithin zugleich der sachliche Umfang der Zugriffsbefugnis der Finanzbehörde nach § 147 Abs. 6 AO – im Regelfall auf solche Unterlagen begrenzt, die zum Verständnis und zur Überprüfung der für sie geltenden steuergesetzlichen Aufzeichnungspflichten, z. B. in § 4 Abs. 3 S. 5, Abs. 7 EStG und § 22 UStG, von Bedeutung sind. Eine steuerliche Relevanz von elektronisch gespeicherten Daten allein reicht dabei nicht aus. Soweit keine Aufzeichnungspflicht besteht, ist auch der Datenzugriff ausgeschlossen. Eine weitergehende Aufbewahrungspflicht ergibt sich für einen Steuerpflichtigen, der seinen Gewinn mittels einer EÜR ermittelt, weder aus der Vorschrift des § 146 Abs. 6 AO noch aus § 147 Abs. 1 Nr. 5 AO.
3. Hat sich der Steuerpflichtige aber entschieden, steuergesetzlich erforderliche Aufzeichnungen sowohl in Papierform als auch in elektronischer Form zu führen und die notwendigen Unterlagen in beiden Formen aufzubewahren, erstreckt sich die Pflicht zur Aufbewahrung – in Abhängigkeit vom Umfang der gesetzlichen Aufzeichnungspflicht – nach § 147 Abs. 1 AO auf sämtliche vorhandenen Aufzeichnungen und Unterlagen. Diese hat der Steuerpflichtige auf Verlangen (§ 200 Abs. 1 S. 2 AO) vorzulegen; in demselben Umfang hat er – unter den weiteren Voraussetzungen des § 147 Abs. 6 AO – den Datenzugriff zu dulden und die Finanzbehörde dabei zu unterstützen.
4. Dem Datenzugriffsrecht des FA nach § 147 Abs. 5 AO unterliegen demnach insbesondere die vom Einnahme-/Überschussrechner nach den einzelsteuergesetzlichen Vorschriften der § 4 Abs. 3 S. 5 und Abs. 7 EStG sowie § 22 UStG zu führenden elektronischen Aufzeichnungen, etwa die (elektronischen) Aufzeichnungen über die vereinbarten Entgelte je Leistung nach Steuersätzen, die Entgelte für die ausgeführten Bauleistungen nach § 13b UStG, die Bemessungsgrundlage für den Eigenverbrauch, die geltend gemachten Vorsteuerbeträge mit Bezeichnung des Leistenden sowie die Aufzeichnungen über die Aufwandsposten GWG und die Sammelposten GWG, ferner die nach § 4 Abs. 3 S. 5 EStG besonders und laufend zu führenden Verzeichnisse der nicht abnutzbaren Wirtschaftsgüter des Anlage- und Umlaufvermögens einschließlich der nach § 7g EStG zu führenden Aufzeichnungen über die Sonderabschreibungen sowie die nach § 143 Abs. 1 AO im Betrieb des Klägers gesondert aufgezeichneten Daten über den Wareneingang, sofern diese Aufzeichnungen auch in elektronischer Form geführt worden sind.
5. Dem Datenzugriffsrecht des FA unterliegt nach § 22 Abs. 2 Nr. 5 UStG neben der reinen Aufzeichnung der abziehbaren Vorsteuer die Aufzeichnung der Entgelte, aber auch die Vorlage der zum Verständnis und zur Überprüfung der aufgezeichneten Entgelte erforderlichen Unterlagen; das alle sind „vorsteuerbehafteten” Betriebsausgaben, nicht aber die nicht vorsteuerbehafteten Betriebsausgaben wie Versicherungen, Steuern und Beiträge, Zinsaufwendungen, Nebenkosten Geldverkehr.
Normenkette
EStG § 4 Abs. 3 Sätze 1, 5, Abs. 7; AO § 143 Abs. 1, §§ 145, 146 Abs. 5-6, § 147 Abs. 1 Nrn. 1-5, Abs. 6 Sätze 1-2, § 200 Abs. 1 S. 2; UStG § 22 Abs. 2 Nr. 5
Nachgehend
Tenor
1. Die Aufforderung des Beklagten zur Vorlage von Unterlagen vom 9. Mai 2015 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 21. Oktober 2015 wird aufgehoben.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für den Kläger vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten des Klägers die Vollstreckung abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer Aufforderung zur Vorlage von elektronischen Aufzeichnungen.
Der Kläger erzielt gewerbliche Einkünfte als Einzelunternehmer aus einem Malerbetrieb. Seinen Gewinn ermittelt er durch Einnahmen-Überschussrechnung (EÜR) gemäß § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG).
Nach Anordnung einer Außenprüfung betreffend die Prüfungszeiträume 2011 bis 2013 forderte der Beklagte (das Finanzamt –FA–) den Kläger mit Schreiben vom 19. Mai 2015 auf, bis 2. Juni 2015 einen beigefügten Fragebogen zum EDV-System auszufüllen sowie „den Datenträger” zu überlassen. Eine Rechtsbehelfsbelehrung war dem Schreiben nic...