Entscheidungsstichwort (Thema)
Beurteilung von außerhalb der Buchführung in Kalendern aufgezeichneten höheren Umsätzen als tatsächlich erzielte Umsätze bei Verletzung der Mitwirkungspflicht
Leitsatz (redaktionell)
Soweit im finanzgerichtlichen Verfahren der Sachverhalt nicht vollständig aufgeklärt werden kann, weil der Kläger seine Mitwirkungspflicht verletzt, indem er Umstände aus seiner alleinigen Wissens- und Einflusssphäre nicht offenbart, mindert sich für das Gericht, dem weitere Erkenntnismittel nicht zur Verfügung stehen, die Sachaufklärungspflicht und das Beweismaß auch für die Feststellung von Besteuerungsgrundlagen. In diesem Fall können i. R. d. Beweiswürdigung aus der Verweigerung der dem Kläger möglichen Mitwirkung für ihn nachteilige Folgerungen gezogen werden, ohne dass es einer Schätzung bedarf oder eine Beweislastentscheidung zu treffen ist.
Normenkette
AO §§ 158, 140 ff., § 90 Abs. 1; FGO § 96 Abs. 1
Nachgehend
Tenor
1. In Änderung des Umsatzsteuerbescheids für 1999 vom 23. Dezember 2004 und der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 2. Februar 2006 wird die Umsatzsteuer auf … EUR (= … DM) herabgesetzt.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
I.
Streitig ist die Höhe der Umsätze zweier Gaststätten der Klägerin.
Die Klägerin betrieb als Einzelunternehmerin vom 21. November 1990 bis 31. März 1999 die Pizzeria R in B und ab 1. April 1999 die Pizzeria D in M. In beiden Gaststätten wurden sowohl ein Restaurant als auch ein Straßenverkauf betrieben.
Die Klägerin reichte für die Streitjahre (1995-2002) Umsatzsteuererklärungen ein, in denen Umsätze zum allgemeinen Steuersatz und solche zum ermäßigten Steuersatz angegeben wurden. Der Beklagte (das Finanzamt – FA –) folgte zunächst den Steuererklärungen.
In der Zeit vom 10. März bis 15. bzw. 16. Juli 2004 fanden bei der Klägerin eine Außenprüfung für 1995-2002 (Bericht vom 15. Juli 2004) und eine Steuerfahndungsprüfung wegen des Verdachts der Einkommen-, Gewerbe-und Umsatzsteuerhinterziehung für 1997-2002 (Bericht vom 30. September 2004) statt.
Die Steuerfahndung beschlagnahmte bei einer Hausdurchsuchung am 10. März 2004 Kalender der Klägerin, auf die Bezug genommen wird. In die Kalender der Jahre 1995 bis 1998 waren an jedem Öffnungstag der Pizzeria R – neben Ausgaben für Wareneinkäufe – zwei Zahlen eingetragen. Die Zahlen der linken Spalte entsprechen – mit Rundungsdifferenzen von bis zu 10 DM – den täglich erfassten Einnahmen, die die Klägerin im Kassenbuch, auf das Bezug genommen wird, eingetragen hatte. Die Zahlen der rechten Spalte waren jeweils höher. In den Kalendern ab 1. April 1999 war an jedem Öffnungstag der Pizzeria D – neben Ausgaben für Wareneinkäufe – nur noch eine Zahl eingetragen; in der Summe ergeben diese Zahlen wiederum einen höheren Betrag als die – nur noch monatlich erfassten – nachträglich im Kassenbuch aufgezeichneten Einnahmen.
Die Außen-bzw. Fahndungsprüfung gelangte zu der Auffassung, dass die Zahlen der rechten Spalte in den Kalendern von 1995 bis 1998 und die Zahlen in den Kalendern von 1. April 1999 bis 2002 die tatsächlichen Umsätze (Bruttoumsätze) der Streitjahre wiedergeben.
Dem folgend erhöhte das FA in Steuerbescheiden jeweils vom 23. Dezember 2004, die für 2000 nach § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Abgabenordnung (AO) und für die übrigen Jahre nach § 164 Abs. 2 AO geändert wurden, die Umsatzsteuer auf … EUR (1995), … EUR (1996), … EUR (1997), … EUR (1998), … EUR (1999), … EUR (2000), … EUR (2001) und … EUR (2002).
Die gegen die Bescheide vom 23. Dezember 2004 eingelegten Einsprüche wurden als unbegründet zurückgewiesen (Einspruchsentscheidung vom 2. Februar 2006).
Hiergegen richtet sich die Klage. Zur Begründung trägt die Klägerin im Wesentlichen vor, siehabe die vom FA angesetzten Umsätze überhaupt nicht erwirtschaften können. Dies geltesowohl für die in den Kalendern aufgezeichneten Tagesumsätze als auch für die aus diesenerrechneten Jahresumsätze.
Die Klägerin – und ihr in dem Betrieb beschäftigter Ehemann – hätten zwei in 1981 und 1988 geborene Kinder zu betreuen gehabt. Zudem hätten bei den vom FA angesetzten Jahresumsätzen die Pizzeria R durchschnittlich mehr als 100 Gäste und die Pizzeria D knapp 200 Gäste pro Tag haben müssen, von denen jeder Gast mindestens eine Speise und ein Getränk zu sich nimmt. Dies sei bei den örtlichen Gegebenheiten nicht möglich gewesen. Tatsächlich seien beide Gaststätten zu keiner Zeit gut bzw. meist eher spärlich besucht gewesen; hierzu werden schriftliche Erklärungen von drei Gästen der Gaststätten vorgelegt. Der Nachfolger der Pizzeria in M habe in 2006 nur einen Bruttoumsatz in Höhe von … EUR erzielt.
Zur Erläuterung, dass die vom FA angesetzten Umsätze „definitiv nicht erwirtschaftbar” gewesen seien, stellt die Klägerin eine Vergleichsrechnung an, für die sie sich eines „Betriebsvergleichs für die Hotellerie und Gastronomie Bayern 2002” des Deutschen wirtschaftswissenschaftlic...