Entscheidungsstichwort (Thema)
Frage der Steuerbefreiung der Umsätze eines Berufsbetreuers
Leitsatz (redaktionell)
1. Voraussetzung einer Steuerbefreiung ist u.a. das Vorliegen einer anerkannten Einrichtung mit sozialem Charakter. Der Einzelne (Stpfl.) kann die Eigenschaft einer solchen Einrichtung nicht schon dadurch erlangen, dass er sich auf die gesetzliche Bestimmung beruft. Es ist Sache der nationalen Behörde insbesondere unter Berücksichtigung der Praxis der zuständigen Verwaltung in ähnlichen Fällen zu bestimmen, welche Einrichtungen als solche mit sozialem Charakter anzuerkennen sind.
2. Aus den gesetzlichen Vergütungsregelungen kann keine Anerkennung der Berufsbetreuer als Einrichtung mit sozialem Charakter hergeleitet werden. Die einem Berufsbetreuer gem. § 4 Abs. 1 VBVG zu bewilligenden Stundensätze gelten unabhängig davon, ob es sich um einen Vereins- oder um einen Berufsbetreuer handelt.
Normenkette
UStDV § 23; VBVG § 4 Abs. 1; UStG § 4 Nr. 18 S. 1
Nachgehend
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Steuerfreiheit der Umsätze aus der Tätigkeit als Berufsbetreuer.
Der Kläger (Kl.) war in den Streitjahren als selbstständiger Berufsbetreuer tätig. Rechnungen mit gesondertem Umsatzsteuerausweis stellte er nicht aus.
In seinen Umsatzsteuerjahreserklärungen für die Streitjahre 2005 bis 2007 sowie in den Umsatzsteuervoranmeldungen für 2008, 2009 und Januar und Februar 2010 gab er steuerpflichtige Umsätze an. Die Erklärungen und Anmeldungen führten zu Steuerfestsetzungen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§§ 168, 164 Abs. 1 der Abgabenordnung, AO).
Am 28. April 2010 stellte der Kl. beim Beklagten (Bekl.) den Antrag, seine Umsätze aus der Tätigkeit als Berufsbetreuer für die Zeit ab dem 1. Juli 2005 als steuerfrei zu behandeln. Die Umsatzsteuerfreiheit folge aus der unmittelbaren Anwendung der Regelung in Art. 132 Abs. 1 Buchst. g) der Richtlinie 2006/112/EG des Rates der Europäischen Union vom 28. November 2006 (MwStSystRL) bzw. Art. 13 Abs. 1 Buchst. g) der Richtlinie 77/388/EWG (6. EG-RL). § 4 Nr. 18 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) setze die Richtlinienregelungen nicht hinreichend um, da der Begriff der sozialen Einrichtung auf Verbände der freien Wohlfahrtspflege und der freien Wohlfahrtspflege dienende Körperschaften beschränkt sei. Bei den Leistungen eines Berufsbetreuers handele es sich um Leistungen, die eng mit der Sozialfürsorge oder der sozialen Sicherheit verbunden sind. Der Kl. sei auch als Einrichtung anzusehen, die als Einrichtung mit im Wesentlichen sozialem Charakter anerkannt ist, da die Kosten der Betreuung zu über 90% vom Fiskus getragen würden. Auch gewerbliche Unternehmen erfüllten den Begriff der „Einrichtung”.
Mit Bescheid vom 5. Mai 2010 lehnte der Bekl. den Antrag ab. Der Kl. stelle keine „anerkannte Einrichtung” im Sinne der Richtlinienregelungen dar. Der nationale Gesetzgeber, dem für die Anerkennung eigene Regelungsmöglichkeiten zustünden, habe hierzu in § 4 Nr. 16 und Nr. 18 UStG Regelungen getroffen, von denen Berufsbetreuer nicht erfasst würden.
Am 20. Mai 2010 ging die Umsatzsteuererklärung des Kl. für das Streitjahr 2008 ein, die zu einer Jahressteuerfestsetzung führte.
Am 27. Mai 2010 legte der Kl. gegen den Ablehnungsbescheid Einspruch ein. Die Frage der Anerkennung als Einrichtung mit sozialem Charakter könne nach dem BFH-Urteil vom 18. August 2005 (V R 71/03) auch aus der Übernahme der Kosten der Leistungen durch Krankenkassen oder andere Einrichtungen der sozialen Sicherheit abgeleitet werden. Die Betreuervergütung werde zwar nicht von einem Sozialversicherungsträger übernommen und gemäß § 1836 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) i. V. m. dem Vormünder- und Betreuervergütungsgesetz (VBMG) sei es auch Sache des Betreuten, die Kosten zu finanzieren. Da in der Praxis aber die meisten Betreuten mittellos seien (84,3% im Jahr 2007), werde die Betreuung im Regelfall aus Steuermitteln finanziert. Für die steuerliche Beurteilung könne dies keinen Unterschied machen.
Mit Einspruchsentscheidung vom 10. August 2010, die am 11. August 2010 (Mittwoch) abgesandt wurde, wies der Bekl. den Einspruch als unbegründet zurück. Eine Steuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g) MwStSystRL scheide bereits deshalb aus, weil der Kl. keine Leistungen erbringe, die eng mit der Fürsorge und der sozialen Sicherheit verbunden sind. Seine Tätigkeit diene keinem gemeinnützigen Zweck, sondern in erster Linie der Bestreitung seines persönlichen Lebensunterhalts. Dass dabei möglicherweise eine Förderung seiner Kunden unter sozialen Aspekten stattfinde, sei nicht entscheidend. Das Unternehmen des Kl. sei darüber hinaus auch keine anerkannte Einrichtung mit sozialem Charakter, da es nicht in der Aufzählung des § 23 der Umsatzsteuerdurchführungsverordnung (UStDV) enthalten sei. Schließlich sei auch die Einhaltung des Abstandsgebots (Art. 133 Abs. 1 Buchst. c) MwStSystRL) nicht gewähreistet, da die Pr...