Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer 1990 und 1991
Nachgehend
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
Beschluß
Der Streitwert wird auf … DM festgesetzt.
Gründe
Streitig ist, ob ein Widerstreit i.S. von § 174 Abgabenordnung (AO) zwischen Grundlagen- und Folgebescheid vorliegt, von wem er verursacht worden ist und ob er vom Finanzamt nach § 129 AO berichtigt werden konnte.
Die Kläger (Kl.) sind Eheleute und werden gemeinsam zur ESt veranlagt. Die Klägerin (Klin.) ist als selbständige Steuerbevollmächtigte tätig. Der Kl. erzielt Einkünfte aus selbständiger Arbeit aus einer Gemeinschaftspraxis und aus seiner daneben betriebenen Einzelpraxis. Die Klin. erstellt die Steuererklärungen und Gewinnermittlungen für die Gemeinschaftspraxis und die Eheleute.
In den „ESt 4 B”-Mitteilungen wurden dem Veranlagungsbezirk des Beklagten (Bekl.) die einheitlich und gesondert festgestellten Einkünfte des Kl. aus der Gemeinschaftspraxis wie folgt mitgeteilt:
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1990 |
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1991 |
laufender Gewinn |
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… DM |
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… DM |
Sonderbetriebseinnahmen |
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… DM |
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… DM |
Sonderbetriebsausgaben |
./. |
… DM |
./. |
… DM |
Anteil des Kl. insgesamt |
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… DM |
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… DM |
In der Anlage GSE ihrer Einkommensteuer (ESt)-Erklärungen erklärten die Kl. die Einnahmen aus der Einzelpraxis ohne die Betriebsausgaben, die bereits bei den Einkünften des Kl. aus der Gemeinschaftspraxis gewinnmindernd erfaßt waren. Als Anlage zu jeder ESt-Erklärung war jedoch beigefügt eine von der Klin. für die Einzelarztpraxis erstellte und testierte Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG, in der neben den in den Steuererklärungsvordruck übertragenen Betrag der Praxiseinnahmen auch Betriebsausgaben ausgewiesen waren, die zu einem Verlust von … DM für 1990 und von … DM für 1991 führten. Daraufhin strich der Veranlagungsbeamte die im Steuererklärungsvordruck eingetragenen positiven Einkünfte aus der Einzelpraxis und erfaßte die in den Überschußrechnungen ermittelten Verluste, ohne zu erkennen, daß die Summe der jeweiligen Betriebsausgaben dem schon in der „ESt 4 B”-Mitteilungen aufgeführten Betrag der Sonderbetriebsausgaben des Kl. entsprach. In den daraufhin ergangenen ESt-Bescheiden für 1990 und 1991 wirkten sich somit die Betriebsausgaben zugunsten der Kl. doppelt aus. Bei den Veranlagungsarbeiten für 1992 stellte der neue Veranlagungsbeamte fest, daß im Rahmen der ESt-Veranlagungen 1990 und 1991 die bei der Sozietät als Sonderbetriebsausgaben abgezogenen Aufwendungen auch als Betriebsausgaben bei der Einzelpraxis abgezogen worden waren, und machte in den nach § 174 AO geänderten Bescheiden vom 16.08.1994 für 1990 und vom 09.08.1994 für 1991 die doppelte Erfassung der vom Kl. persönlich getragenen Aufwendungen rückgängig.
Der Einspruch blieb ohne Erfolg; das Finanzamt wies die Kl. darauf hin, daß die Korrektur der Bescheide auch auf § 129 AO gestützt werden könne (vgl. Einspruchsentscheidung – EE – vom 14.09.1995 – Bl. 11–16 Gerichtsakten – GA). Dagegen richtet sich die Klage.
Die Kl. vertreten die Auffassung, die bestandskräftigen ESt-Bescheide 1990 und 1991 hätten nicht geändert bzw. berichtigt werden können.
Eine Änderung gemäß § 174 Abs. 2 AO scheide aus. Diese Vorschrift setze voraus, daß ein bestimmter Sachverhalt in unvereinbarer Weise mehrfach zugunsten des Steuerpflichtigen berücksichtigt worden sei. Darüber hinaus könne eine Änderung nur dann vorgenommen werden, wenn die Berücksichtigung des Sachverhalts auf einen Antrag oder eine Erklärung des Steuerpflichtigen zurückzuführen sei. Es sei bereits zweifelhaft, ob im Streitfall ein bestimmter Sachverhalt in mehreren Steuerbescheiden widerstreitend erfaßt worden sei. Vorliegend seien die Sonderbetriebsausgaben im Rahmen der einheitlichen und gesonderten Feststellung berücksichtigt; daneben seien dieselben Beträge im Rahmen des ESt-Bescheides bei den Einkünften des Kl. aus der Einzelpraxis angesetzt worden. Von einer widerstreitenden Steuerfestsetzung könne nur dann die Rede sein, wenn Grundlagenbescheid und Folgebescheid als verschiedene Bescheide im Sinne von § 174 Abs. 2 AO angesehen würden. Der Kommentar von Tipke-Kruse (Tz. 3 zu § 174 AO) vertrete aber die Auffassung, es liege kein Widerstreit vor, wenn die Besteuerungsgrundlagen sowohl im Grundlagen- als auch im Folgebescheid zu erfassen seien. Unter Zugrundelegung dieser Auffassung würde im Streitfall die Anwendung des § 174 Abs. 2 AO bereits deshalb scheitern, weil widerstreitende Steuerfestsetzungen nicht in verschiedenen Steuerbescheiden enthalten seien, sondern in ein und demselben Bescheid, nämlich dem ESt-Bescheid.
Aber selbst wenn man widerstreitende Steuerfestsetzungen im Verhältnis zwischen Grundlagen- und Folgebescheid für möglich ansehe, entfalle im Streitfall die Anwendungsmöglichkeit nach § 174 Abs. 2 AO, weil die Fehlerhaftigkeit überwiegend vom Bekl. verursacht worden sei (unter Bezug auf EFG 1981, 84). Im Streitfall sei die Fehlerhaftigkeit der ursprünglichen ESt-Bescheide überwiegend vom Finanzamt verursacht ...