Entscheidungsstichwort (Thema)
Tatsächliche Verständigung
Leitsatz (redaktionell)
1. Ein Irrtum des Steuerpflichtigen über die Reichweite einer tatsächlichen Verständigung führt nicht zu einem Einigungsmangel, welcher die tV von Anfang an unwirksam sein lassen würde.
2. Der Umstand, dass eine tV während einer laufenden Betriebsprüfung abgeschlossen wird, macht sie nicht zu einer Prüfungshandlung. Etwaige Verfahrensfehler während der Bp stehen daher der Wirksamkeit der tV nicht im Wege.
Normenkette
BpO § 10; BGB § 119; AO § 201 Abs. 2
Nachgehend
Tatbestand
I.
Streitig ist im Wesentlichen, ob eine tatsächliche Verständigung wirksam ist.
Die Kläger sind Ehegatten und werden zusammen zur Einkommensteuer (ESt) veranlagt.
Bei dem Kläger, der als Tierarzt Einkünfte aus selbständiger Arbeit erzielt, wurde eine Betriebsprüfung durchgeführt, die sich u.a. auf die ESt 1998 bis 2000 erstreckte. Am 17.09.2002 unterzeichneten der Kläger und sein Steuerberater Herr N. ein „Protokoll über eine Verhandlung zur Vereinfachung und Beschleunigung des Besteuerungsverfahrens (tatsächliche Verständigung)”. Hierin heißt es u.a.:
„Zum Zwecke der Verfahrensbeschleunigung bzw. -vereinfachung und zur Herstellung des Rechtsfriedens wird deshalb verbindlich vereinbart, hinsichtlich der o.a. strittigen Punkte bei der Besteuerung folgenden Sachverhalt zugrunde zu legen:
Es werden folgende Sicherheitszuschläge festgesetzt:
Gewinnzuschläge netto:
1998 …,– DM |
1999 …,– DM |
2000 …,– DM |
Umsatzsteuer
1998 …,– DM |
1999 …,– DM |
2000 …,– DM |
Die Umsatzsteuer ist zusätzlich als Betriebseinnahme zu erfassen.”
Der Beklagte wertete die o.g. tatsächliche Verständigung sowie den Betriebsprüfungsbericht vom 18.09.2002 im Rahmen der sog. veranlagenden Betriebsprüfung aus und änderte die ESt-Bescheide der Jahre 1998 bis 2000 am 15.01.2003 entsprechend.
Ihren Einspruch begründeten die Kläger u.a. damit, dass „die überhöhten Ansätze der Betriebsprüfung nicht anerkannt” würden, ohne hierzu weitere Erläuterungen abzugeben. Der Einspruch blieb erfolglos (Einspruchsentscheidung vom 09.04.2003).
Im Klageverfahren begehrten die Kläger zunächst die Korrektur diverser Besteuerungsgrundlagen (Ertragsanteil Berufsunfähigkeitsrente, Schätzung der Vermietungseinkünfte, höherer Ansatz von Bewirtungskosten/Kfz-Kosten/Leasingkosten/Sonderausgaben). Mit Schriftsätzen vom 13.02.2004 bzw. vom 17.02.2005 ließen die Kläger diese Streitpunkte fallen. Sie begehren nunmehr, die ESt für die Jahre 1998 bis 2000 ohne die Hinzuschätzung der Gewinne aus der tatsächlichen Verständigung festzusetzen (s. Schriftsatz vom 15.06.2005, Bl. 99).
Die Kläger tragen vor, dass Grund für die Betriebsprüfung eine anonyme Anzeige gewesen sei, die am 21.05.2001 beim Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung eingegangen sei. Die Steuerfahndung habe außer den Anfangsermittlungen keine weiteren Maßnahmen ergriffen. Stattdessen habe das Festsetzungsfinanzamt – der Beklagte – die Betriebsprüfung durchgeführt. Für den Prüfer seien die Eingänge auf dem Geschäftskonto nicht nachvollziehbar gewesen, obwohl der Kläger seinen Mitwirkungspflichten nachgekommen sei, insbesondere alle ungeklärten Einnahmen nachgewiesen habe.
Am 17.09.2002 sei auf den Druck des Prüfers, man würde alles auf den Kopf stellen, die tatsächliche Verständigung über die Hinzuschätzung von Einnahmen getroffen worden. Danach habe dann die eigentliche Schlussbesprechung stattgefunden, an deren Ende der Prüfer darauf hingewiesen habe, dass der gesamte Sachverhalt zur Prüfung an die Straf- und Bußgeldsachenstelle weitergeleitet werde.
Mit Schreiben vom 09.07.2003 sei ihm – dem Kläger – mitgeteilt worden, dass ein Strafverfahren gegen ihn eingeleitet worden sei, da er u.a. nicht sämtliche Einnahmen aus der freiberuflichen Tätigkeit (Tierarztpraxis) erklärt haben solle. Im weiteren Verlauf der Ermittlungen habe der Steuerfahndung dargelegt werden können, dass den in der tatsächlichen Verständigung (im Folgenden: tV) aufgeführten Sicherheitszuschlägen jegliche Grundlage fehle. Das Ermittlungsverfahren sei im Dezember 2004 schließlich eingestellt worden.
Die Kläger sind der Ansicht, dass die tV keine Bindungswirkung entfalte.
Diese könne schon deshalb keine Wirksamkeit erlangen, weil die anlässlich der anonymen Anzeige durchgeführte Betriebsprüfung von Anfang an der Aufklärung von Steuerstraftaten gedient habe. Hierfür sei jedoch die Steuerfahndung zuständig, weshalb die Prüfungsanordnung rechtswidrig sei und ein Verwertungsverbot bestehe.
Außerdem sei die tatsächliche Verständigung wegen eines Verstoßes gegen § 201 Abs. 2 AO unwirksam. Nach dieser Vorschrift solle der Steuerpflichtige in der Schlussbesprechung darauf hingewiesen werden, dass die straf- oder bußgeldrechtliche Würdigung einem besonderen Verfahren vorbehalten bleibe, soweit die Möglichkeit bestehe, dass aufgrund der Prüfungsfeststellungen ein Straf- oder Bußgeldverfahren durchgeführt werden...