Entscheidungsstichwort (Thema)
Wirtschaftlich wertlose Scheinerträge stellen keine Einnahmen aus der Beteiligung an einem Handelsgewerbe dar
Leitsatz (redaktionell)
Wirtschaftlich wertlose Scheinerträge, die im Zusammenhang mit einem sogenannten "Schneeballsystem" den Anlagekonten von Kapitalanlegern in betrügerischer Weise gutgeschrieben werden, stellen keine Einnahmen im Sinne der §§ 20 Abs. 1 Nr. 4, 8 Abs. 1 EStG dar.
Normenkette
EStG § 11 Abs. 1, § 20 Abs. 1 Nr. 4, § 8 Abs. 1
Nachgehend
Tatbestand
I.
Streitig ist, ob gutgeschriebene und wiederangelegte Scheinrenditen in einem sog. "Schneeballsystem" beim Kapitalanleger zu Einkünften aus Kapitalvermögen führen (§ 20 Abs. 1 Nr. 4 EStG).
Der Kläger wird mit seinem Ehegatten zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Er erzielte in den Streitjahren als ... Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit; ferner bezog er im Jahr 1989 Einkünfte aus Kapitalvermögen.
Das Finanzamt führte die Einkommensteuerveranlagung der Streitjahre erklärungsgemäß durch und setzte mit Einkommensteuerbescheid vom 8. 10. 1990 die Einkommensteuer 1989 auf 853 DM und mit Bescheid vom 15. 3. 1991 die Einkommensteuer 1990 auf 614 DM fest. Die Steuerbescheide wurden bestandskräftig.
Am 16. 12. 1993 wurde dem Finanzamt - aufgrund einer Kontrollmitteilung der OFD Düsseldorf - bekannt, daß der Kläger in den Jahren 1989 und 1990 Kapitalanleger der Fa. Ambros S. A., Vaduz / Liechtenstein gewesen war und aus seiner Kapitaleinlage gutgeschriebene "Renditen" erhalten und wieder angelegt hatte. Der Kläger selbst hatte in seinen Steuererklärungen aus seiner Ambros-Beteiligung keine Einnahmen aus Kapitalvermögen erklärt.
Ermittlungen des Finanzamts ergaben, daß der Kläger mit der Fa. Ambros S. A. - einer Kapitalgesellschaft panamaischen Rechts, die ihren Verwaltungssitz in Vaduz hatte - drei sog. Verwaltungsverträge abgeschlossen hatte. In diesem Zusammenhang hatte er der Anlagefirma im Jahr 1989 einen Kapitalbetrag in Höhe von insgesamt 30.000 DM (2 x 5.000 DM und 1 x 20.000 DM) zur Verfügung gestellt. Zur Finanzierung der Einlage von 20.000 DM hatte der Kläger ein Bankdarlehen aufgenommen und hierfür Schuldzinsen entrichtet.
Die Fa. Ambros S. A. hatte ihren Anlegern monatliche "Renditen" bis zu 6 % in Aussicht gestellt. In den Verwaltungsverträgen erklärten sich damals die Anleger bereit, daß sie als Investoren dem Verwalter Eigenkapital in einer bestimmten Höhe zur Verfügung stellten und über den spekulativen Charakter der Kapitalanlage einschließlich deren Risiken ausführlich aufgeklärt worden seien. Die Anleger hatten die Wahl zwischen der monatlichen Wiederanlage der Gewinne und einer vierteljährlichen Gewinnausschüttung. Der Kläger entschied sich nach den drei vorgelegten Verwaltungsverträgen jeweils für die monatliche Wiederanlage der Gewinne (Anlageform).
In den vorformulierten Vertragsbedingungen heißt es u. a.:
"Tz. 2.1
Der Verwalter kann die Anlage mehrerer Investoren zu einheitlichen Transaktionen zusammenfassen, um Geschäfte an US-Börsen über einen oder mehrere Broker zu tätigen.
Tz. 3.1
Getätigt werden überwiegend Stillhaltegeschäfte.
Tz. 4.1
Die Anlagen haben spekulativen Charakter. Verluste können daher nicht ausgeschlossen werden. Eine Nachschußpflicht des Investors besteht nicht.
Tz. 4.2
Das Kapital der Investoren wird mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns verwaltet. Eine Garantie für die Erzielung eines bestimmten Anlageerfolgs kann jedoch nicht übernommen werden.
Tz. 5.2
Der Investor erhält 70 % vom Netto-Wertzuwachs.
Tz. 7.2
Die Nettoergebnisse werden im monatlichen Kontoauszug mitgeteilt.
Tz. 7.3
Eventuelle Verluste werden bis zu drei Monate vorgetragen.
Tz. 8.1
Eine Kündigung ist vierteljährlich mit einer Frist von 6 Wochen zum Quartalsende möglich.
Tz. 8.3
Das Guthaben wird per Scheck bis 15. des auf das Quartalsende folgenden Monats an den Investor ausgezahlt."
Aus den mit den gepoolten Kapitalbeträgen getätigten Spekulationsgeschäften erwirtschaftete die Fa. Ambros S. A. in der Zeit von August 1988 bis zu ihrem Zusammenbruch im Januar 1991 Verluste in Höhe von rund 247 Mio. DM. Trotz dieser Verluste spiegelte die Fa. Ambros S. A. nach außen hin stets "Renditen" vor, die - ebenso wie die angelegten Kapitalbeträge - auf Anforderung bzw. Kündigung bis zum 30. 9. 1990 an die Anleger ausbezahlt wurden. Diese Auszahlungen wurden im sog. "Schneeballsystem" aus den Kapitalanlagen neu hinzugetretener Anleger bestritten. Zum Zusammenbruch dieses Systems kam es anläßlich des am 15. 1. 1991 erneut anstehenden Auszahlungstermins, zu dem rund 78 Mio. DM benötigt wurden, jedoch nur noch ein Kapital von ca. 40 Mio. DM vorhanden war. Das Konkursverfahren über das (Inlands-)Vermögen der Fa. Ambros S. A. wurde mangels Masse eingestellt.
Aufgrund einer Kontrollmitteilung erließ das Finanzamt nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 geänderte Einkommensteuerbescheide für 1989 und 1990, in denen es die mitgeteilten gutgeschriebenen "Renditen" (1989: 5.160 DM; 1990: 8.679 DM) ...