Entscheidungsstichwort (Thema)
Berücksichtigung von auf der Wertlosigkeit von Aktien wegen Insolvenz beruhenden Verlusten bei nicht wesentlicher Beteiligung – Rechtslage ab 2009
Leitsatz (amtlich)
1. Der Verlust, der dadurch eintritt, dass Aktien aufgrund der Insolvenz der Kapitalgesellschaft wertlos werden, fällt schon begrifflich nicht unter die Werbungskosten, so dass die Beschränkung des Werbungskostenabzugs gemäß § 20 Abs. 9 Satz 1 EStG nicht greift.
2. Der Verlust von Aktien aufgrund der Insolvenz der Kapitalgesellschaft ist ein Veräußerungsgeschäft gem. § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG, wenn die Aktien (nach US-amerikanischem Recht) im Insolvenzverfahren eingezogen und auf die Gemeinschaft der Gläubiger übertragen werden. Dass der Aktionär eine – nachrangige – Ausgleichsforderung erwirbt, ist steht der Annahme der Entgeltlichkeit des Veräußerungsgeschäfts nicht entgegen, wenn er mit dieser Ausgleichsforderung ausfällt.
3. Die in der Einziehung von Gesellschaftsanteilen liegende Teil-Liquidation, die zu einem endgültigen Verlust der Kapitalbeteiligung geführt hat, muss im Wege verfassungskonformer Auslegung der Veräußerung i. S. des § 20 Abs. 2 EStG gleich gestellt werden.
Normenkette
EStG 2009 § 20 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 S. 1 Nr. 1 und S. 2, Abs. 4 S. 1;
Nachgehend
Tatbestand
Strittig ist, ob Aktien, die im Hinblick auf die Insolvenz der Aktiengesellschaft als wertlos ausgebucht wurden, zu einem steuerlich anzuerkennenden Verlust führen.
Der Kläger, ein Maschinenbautechniker, erwarb am 3. November sowie am 9. und 10. Dezember des Streitjahres 2009 insgesamt 300.000 Aktien der "C Group Inc." (nachfolgend C genannt) für einen Gesamtpreis in Höhe von 12.884,06 € (Blatt 50-53 ESt-A). Laut Mitteilung der "... Broker AG & Co. KG" (Blatt 49 ESt-A) wurden diese Aktien am 22. Dezember 2009 als wertlos ausgebucht.
Bei der C handelte es sich - nach den Feststellungen des Beklagten (Blatt 73 ESt-A) - um eine US-amerikanische Finanzdienstleistungsgruppe, deren Kunden vor allem kleine und mittelständische Unternehmen waren. Im Zuge der Finanzkrise geriet die C in Schwierigkeiten. Im Juli 2009 wurde ein Antrag auf Staatshilfe abgelehnt, weshalb Insolvenz drohte. Im August 2009 konnte die Insolvenz durch einen privaten Kredit von 3 Milliarden US-Dollar vorerst abgewendet werden. Nach dem Scheitern einer Umstrukturierung der Schulden des Unternehmens meldete die C am 1. November 2009 Gläubigerschutz nach Chapter 11 das amerikanischen Insolvenzrechtes an. Die Verbindlichkeiten beliefen sich auf fast 65 Milliarden US-Dollar. Trotzdem gelang es der C, die notwendigen Mehrheiten der Gläubiger zur Zustimmung zu einem Insolvenzplan zu bewegen. Dieser beinhaltete die Reduzierung der Schulden um rund 11 Milliarden US-Dollar; im Gegenzug erhielten die Gläubiger die Aktien des Unternehmens. Die bisherigen Aktionäre verloren als letztrangige Gläubiger alles. Mit Bestätigung des Insolvenzplans durch den Insolvenzrichter wurde das insolvenzrechtliche Gläubigerschutzverfahren nach nur fünf Wochen am 9. Dezember 2009 beendet (siehe hierzu die Ausführungen in der Enzyklopädie Wikipedia, dort unter ...; Blatt 55 ESt-A).
Die erlittene Vermögenseinbuße von 12.884,06 € machte der Kläger in seiner Einkommensteuererklärung und in seiner Erklärung zur Feststellung des verbleibenden Verlustvortrages vom 3. November 2010 (Blatt 1-53 ESt-A) für das Streitjahr 2009 als Verlust aus privaten Veräußerungsgeschäften geltend (Blatt 23/24 ESt-A).
Unter Hinweis darauf, dass die wertlose Ausbuchung der C-Aktien nicht als Veräußerungsvorgang im Sinne des § 20 Abs. 2 EStG beurteilt werden könnte (so auch die OFD laut Gesprächsnotiz vom 18. Januar 2011; Blatt 56 ESt-A), lehnte der Beklagte im Einkommensteuerbescheid 2009 vom 2. Februar 2011 (Blatt 57-60 ESt-A) eine Berücksichtigung des erklärten Vermögensverlustes ab. Dadurch errechneten sich Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften durch Aktienverkäufe in Höhe von 6.658 €, die mit dem Verlustvortrag zum 31. Dezember 2008 in Höhe von 2.415 € verrechnet wurden (Blatt 58 ESt-A). Ausgehend von einem Gesamtbetrag der Einkünfte in Höhe von 60.409 € setzte der Beklagte die Einkommensteuer 2009 auf einen Betrag in Höhe von 9.807 € fest.
Des Weiteren erließ der Beklagte unter dem Datum vom 2. Februar 2011 auch einen Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zum 31. Dezember 2009. Darin verrechnete er den verbleibenden Verlustvortrag zum 31. Dezember 2008 ebenfalls mit den Einkünften aus privaten Veräußerungsgeschäften des Streitjahres 2009 und stellte den verbleibenden Verlust zur Einkommensteuer zum 31. Dezember 2009 auf 0 € fest (Blatt 61/62 ESt-A).
Sowohl der Einkommensteuer- als auch der Verlustfeststellungsbescheid ergingen jeweils unter der Steuernummer ...66.
Seinen am 19. Februar 2011 erhobenen Einspruch "zum Steuerbescheid, Steuernummer ...66 vom 02.02.2011" (Blatt 63 ESt-A) ...