Leitsatz
Vereinnahmt der Insolvenzschuldner im Rahmen der Eigenverwaltung das Entgelt für eine vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausgeführte Leistung, begründet dies eine Masseverbindlichkeit i.S. von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO (Fortführung des BFH-Urteils vom 9. Dezember 2010, V R 22/10, BFHE 232, 301, BStBl II 2011, 996).
Normenkette
§ 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG, § 55, § 270 InsO, Art. 90 EGRL 112/2006 (= MwStSystRL)
Sachverhalt
Der Kläger ist Insolvenzverwalter in einem zweiten Insolvenzverfahren einer GmbH, die der Sollbesteuerung unterlag. Am 1.8.2012 wurde über das Vermögen der GmbH ein erstes Insolvenzverfahren eröffnet und Eigenverwaltung gemäß § 270 InsO angeordnet. Im eröffneten Verfahren vereinnahmte die GmbH Entgelte für Leistungen, die sie bereits zuvor erbracht hatte. Sie ging davon aus, dass die Steuer für diese Leistungen bei der Berechnung der sich für dieses Jahr ergebenden Insolvenzforderung zu berücksichtigen sei. Mit Beschluss vom 24.1.2013 wurde ein Insolvenzplan bestätigt und das Insolvenzverfahren mit Beschluss vom 12.2.2013 aufgehoben. Das FA ging davon aus, dass die Steuer für die Leistungen, die die GmbH bereits vor Insolvenzeröffnung erbracht hatte, für die die GmbH die Entgelte aber erst nach Insolvenzeröffnung vereinnahmt hatte, entsprechend § 17 UStG bei der Berechnung der sich für das Streitjahr ergebenden Masseverbindlichkeit zu berücksichtigen sei und änderte die Steuerfestsetzung entsprechend. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg (FG Baden-Württemberg, Urteil vom 15.6.2016, 9 K 2564/14, Haufe-Index 9667027, EFG 2016, 1565).
Entscheidung
Der BFH bestätigte die Entscheidung der Vorinstanz. Danach führt die Entgeltvereinnahmung nach Insolvenzeröffnung für zuvor erbrachte Leistungen auch im Verfahren der Eigenverwaltung zu einer Masseverbindlichkeit.
Hinweis
1. Hat ein Unternehmer im Rahmen der sog. Sollbesteuerung eine Leistung vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erbracht, für die erst der Insolvenzverwalter die Gegenleistung vereinnahmt, führt die Vereinnahmung durch den Insolvenzverwalter nach ständiger BFH-Rechtsprechung zu einer Berichtigung nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 und Abs. 1 Satz 1 UStG, die insolvenzrechtlich eine Masseverbindlichkeit i.S.v. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO begründet (BFH, Urteil vom 9.12.2010, V R 22/10, BFH/NV 2011, 952, BFH/PR 2011, 270, BStBl II 2011, 996). Die zuvor bei der Leistungserbringung vorgenommene Besteuerung ist für das Jahr der Insolvenzeröffnung zu berichtigen (§ 17 Abs. 2 Nr. 1 und Abs. 1 Satz 1 UStG), was bei der Berechnung der sich für dieses Jahr ergebenden Umsatzsteuerjahresinsolvenzforderung zu berücksichtigen ist.
2. Der BFH sieht dies weiterhin als unionsrechtskonform an. Er begründet dies im Hinblick auf den Vortrag im konkreten Streitfall ergänzend mit den insolvenzrechtlichen Besonderheiten, die sich aus der nach § 251 Abs. 2 AO erforderlichen Aufteilung in Insolvenzforderung (§ 38 InsO) und Masseverbindlichkeit (§ 55 InsO) ergeben. Bei Anwendung des nationalen Insolvenzrechts ist es danach unionsrechtlich nicht erforderlich, eine vom Insolvenzverwalter als Bestandteil der Gegenleistung vereinnahmte Umsatzsteuer nach dem nationalen Insolvenzrecht als Insolvenzforderung zu behandeln.
3. Diese Rechtsfolgen treten nach dem neuen Urteil auch ein, wenn das Insolvenzverfahren ohne Insolvenzverwalter im Rahmen der sog. Eigenverwaltung gemäß § 270 InsO geführt wird. Auch im Verfahren der Eigenverwaltung kommt es zur insolvenzrechtlichen Trennung nach Insolvenzforderung und Masseverbindlichkeit. Dem steht nicht entgegen, dass der Schuldner bei der Eigenverwaltung die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über die Insolvenzmasse selbst ausübt. Denn der Schuldner erhält diese Befugnisse neu in seiner Funktion als Amtswalter. Der Schuldner ist somit nicht mehr kraft eigener Privatautonomie auf der Grundlage seiner bisherigen Verfügungsmacht über sein Vermögen tätig.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 27.9.2018 – V R 45/16