Dipl.-Finanzwirt Christian Ollick
Kommentar
Das BMF erläutert, unter welchen Voraussetzungen eine Arbeitgeberleistung - entgegen der neueren BFH-Rechtsprechung - zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn erbracht wird, sodass Steuerbefreiungen oder -begünstigungen greifen. Nur "echte" Zusatzleistungen des Arbeitgebers sollen aus Sicht der Finanzverwaltung begünstigt sein.
Das Zusätzlichkeitserfordernis im EStG
Das EStG knüpft diverse Steuerbefreiungen und -begünstigungen für Leistungen des Arbeitgebers an die Tatbestandsvoraussetzung, dass diese Leistungen zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn erbracht werden müssen.
Hinweis: Dieses sogenannte Zusätzlichkeitserfordernis muss beispielsweise für die Anwendung der 44-Euro-Freigrenze bei Gutscheinen und Geldkarten (§ 8 Abs. 2 Satz 11 zweiter Halbsatz EStG), für die Steuerfreiheit von Arbeitgeberzuschüssen zu Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln im Linienverkehr (§ 3 Nr. 15 EStG), zur Unterbringung und Betreuung von nicht schulpflichtigen Kindern der Arbeitnehmer in Kindergärten oder vergleichbaren Einrichtungen (§ 3 Nr. 33 EStG), zu Gesundheitsfördermaßnahmen (§ 3 Nr. 34 EStG), zur Überlassung eines betriebliches Fahrrads (§ 3 Nr. 37 EStG), sowie für das elektrische Aufladen eines (Hybrid-)Elektrofahrzeugs und für die zur privaten Nutzung überlassenen betrieblichen Ladevorrichtung (§ 3 Nr. 46 EStG) erfüllt sein. Auch die Pauschalbesteuerung von Sachzuwendungen nach § 37b EStG ist an dieses Tatbestandsmerkmal geknüpft.
BFH-Rechtsprechung aus 2019
Der BFH hatte seine Anforderungen an das Zusätzlichkeitserfordernis in mehreren Urteilen vom 1.8.2019 (VI R 32/18 (V), VI R 21/17 (NV), VI R 40/17 (NV)) neu gefasst (vgl. Kommentierung). Aufgegeben hat der BFH darin seine frühere Rechtsprechung, nach der nur freiwillige Arbeitgeberleistungen - also Leistungen, die der Arbeitgeber arbeitsrechtlich nicht schuldet – "zusätzlich" erbracht werden konnten.
Nach der neueren Rechtsprechung sind bestimmte Steuervergünstigungen für Sachverhalte mit Gehaltsverzicht oder -umwandlung (je nach arbeitsvertraglicher Ausgestaltung) nun nicht mehr durch das Zusätzlichkeitserfordernis ausgeschlossen. Gefordert wird vom BFH lediglich, dass der verwendungsfreie Arbeitslohn zugunsten verwendungs- oder zweckgebundener Leistungen des Arbeitgebers arbeitsrechtlich wirksam herabgesetzt wird (Lohnformwechsel). Nur wenn dies nicht der Fall ist, liegt nach der neueren Rechtsprechung eine begünstigungsschädliche Anrechnung oder Verrechnung vor.
Tarifgebundener verwendungsfreier Arbeitslohn kann somit nicht zugunsten bestimmter anderer steuerbegünstigter verwendungs- oder zweckgebundener Leistungen herabgesetzt oder zugunsten dieser umgewandelt werden, da der tarifliche Arbeitslohn nach Wegfall der steuerbegünstigten Leistungen wiederauflebt.
Nichtanwendung der Rechtsprechung durch die Finanzverwaltung
Das BMF ist dieser gelockerten Rechtsprechung nun mit Schreiben vom 5.2.2020 entgegengetreten und hat erklärt, dass zur Tatbestandsvoraussetzung "zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn" aus Verwaltungssicht folgende Grundsätze gelten - und zwar im Vorgriff auf eine entsprechende Gesetzesänderung, abweichend von der neuen BFH-Rechtsprechung und über den Einzelfall hinaus:
Im Sinne des Einkommensteuergesetzes werden Leistungen des Arbeitgebers oder auf seine Veranlassung eines Dritten (Sachbezüge oder Zuschüsse) für eine Beschäftigung demnach nur dann "zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn" erbracht, wenn
- die Leistung nicht auf den Anspruch auf Arbeitslohn angerechnet,
- der Anspruch auf Arbeitslohn nicht zugunsten der Leistung herabgesetzt,
- die verwendungs- oder zweckgebundene Leistung nicht anstelle einer bereits vereinbarten künftigen Erhöhung des Arbeitslohns gewährt und
- bei Wegfall der Leistung der Arbeitslohn nicht erhöht
wird. Dies gilt im Hinblick auf den Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung unabhängig davon, ob der Arbeitslohn tarifgebunden ist. Es sind somit im gesamten Lohn- und Einkommensteuerrecht nur echte Zusatzleistungen des Arbeitgebers steuerbegünstigt.
Das BMF-Schreiben ist in allen offenen Fällen anzuwenden.
Hinweis: Ursprünglich sollte der neuen BFH-Rechtsprechung im Rahmen des Referentenentwurfs des Grundrentengesetzes (GruReG) mit einem neuen § 8 Abs. 4 EStG-E entgegengetreten werden. Der vom Bundeskabinett am 19.2.2020 verabschiedete Regierungsentwurf für die Grundrente enthält aber keine solche Änderung. Es ist daher nunmehr davon auszugehen, dass die Zusätzlichkeitsvoraussetzungen zu einem späteren Zeitpunkt gesetzlich geändert werden.
Link zur Verwaltungsanweisung
BMF, Schreiben v. 5.2.2020, IV C 5 - S 2334/19/10017 :002