Leitsatz
Nach Auffassung des FG Baden-Württemberg sind Schein-Erträge aus einem Schneeballsystem vor 1999 keine steuerbaren Kapitalerträge, wenn die Kapitalanlage scheinbar auf den Abschluss von Differenzgeschäften gerichtet war. Dies soll auch dann gelten, wenn der betrügerisch handelnde Vermittler garantiert, einen Teil des eingezahlten Kapitals zurückzuzahlen und diese Garantie wegen des tatsächlich erzielten höheren Gewinns nicht erforderlich war.
Sachverhalt
Die Kläger hatten in den Jahren 1988 und 1989 mehrfach Geldmittel einem Vermittler zur Verfügung gestellt, der angeblich seinen Kunden Terminkontrakte und Optionen auf US-Treasury-Bonds vermittelte. Ab 1988 erteilte die Vermittlerin teilweise so genannte Garantien für Kapitaleinschüsse in bereits laufende Kontrakte, wonach die Kapitalrückzahlung in Höhe eines bestimmten Mindestbetrags garantiert wurde. Dieser Garantiebetrag lag unter dem Betrag, der später tatsächlich ausgezahlt wurde.
Tatsächlich hat der Vermittler die von Kunden eingezahlten Gelder nicht in der versprochenen Weise in Terminkontrakte und Optionen angelegt, sondern benutzte sie zur Finanzierung eines Schneeballsystem, das Anfang 1990 zusammenbrach. Die vom Vermittler an die Kläger ausgezahlten "Gewinne" behandelte das Finanzamt als Einkünfte aus Kapitalvermögen, weil nicht zuletzt wegen des Garantieversprechens eine zeitlich begrenzte Kapitalüberlassung mit feststehender Rückzahlung des Kapitals i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG anzunehmen sei.
Entscheidung
Nach Auffassung des FG haben die Kläger keine steuerbaren Kapitalerträge erzielt. Der Sachverhalt, der sich nach Aufdeckung des Betrugs anders darstellte als zum Zeitpunkt des Abschlusses des Kontrakts, sei danach zu beurteilen, wie er sich aus der Sicht des gutgläubigen, in Wahrheit jedoch getäuschten Anlegers darstelle. Der gutgläubige Anleger wollte mit den an den Vermittler überlassenen Geldmitteln Terminkontrakte und Optionsrechte auf amerikanische Staatsanleihen erwerben. Differenzgeschäfte dieser Art hätten nach § 23 Abs. 1 EStG in der vor 1999 geltenden Fassung nicht der Einkommensteuer unterlegen. Folglich hätte der gutgläubige Anleger keine steuerbaren Erträge erzielt, was nun auch auf die an Stelle der Erträge aus Differenzgeschäften zugeflossenen Scheinrenditen zu übertragen sei.
Auch aus dem abgegebenen Garantieversprechen sei nichts anderes abzuleiten. Da die Kläger mit jedem einzelnen Geschäft deutlich mehr als den garantierten Betrag erzielten, würde ihnen aus ihrer Sicht ausschließlich das zugewendet, was ihnen auf Grund der günstigen Entwicklung des einzelnen Terminkontraks ohnehin zustand. Insoweit seien Zahlungen auf Grund des Garantieversprechens überhaupt nicht erforderlich gewesen. Ein solch gehaltloses Garantieversprechen könne folglich auch nicht als Begründung für ein Kapitalüberlassungsverhältnis i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG herangezogen werden.
Anders sei die Streitfrage zu entscheiden, wenn die Kläger bösgläubig gewesen wären und folglich unter Ausnutzung der Regeln des Schneeballsystems gezielt Kapital zur Erzielung von Erträgen überlassen hätten. Da hierfür aber keine Anzeichen vorlagen, kommt diese Wertung nicht in Betracht.
Hinweis
Gegen das Urteil wurde Revision eingelegt (Az. des BFH: VIII R 81/03). In diesem Revisionsverfahren wird der BFH insbesondere dazu Stellung nehmen müssen, ob die Abgabe eines Garantieversprechens zur (teilweisen) Kapitalrückzahlung vor 1999 an sich nicht steuerbare Differenzgeschäfte zu steuerpflichtigen Kapitalanlagen umqualifiziert. Außerdem wird von Interesse sein, ob die Wertung des Schneeballsystems aus der gutgläubigen Sicht des Anlegers vorzunehmen ist. Ab 1999 wäre bei gleichartigen Betrugsgeschäften folgerichtig ein steuerpflichtiger Spekulationsgewinn anzunehmen. Die Frage, ob Schein-Erträge überhaupt der Steuerpflicht unterliegen, wurde vom FG überhaupt nicht behandelt, was darauf schließen lässt, dass es diese Rechtsfrage wohl zu Ungunsten der betrogenen Anleger beantwortet würde.
Link zur Entscheidung
FG Baden-Württemberg, Urteil vom 08.07.2003, 4 K 27/99