Prof. Dr. Stefan Schneider
Leitsatz
1. Eine Haftung des Arbeitgebers in Fällen des § 38 Abs. 3a EStG kommt nach § 42d Abs. 9 Satz 4 EStG i.V.m. § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 EStG nur in Betracht, wenn der Dritte die Lohnsteuer für den Arbeitgeber nicht vorschriftsmäßig vom Arbeitslohn einbehalten hat.
2. An einem derartigen Fehlverhalten fehlt es, wenn beim Lohnsteuerabzug entsprechend einer Lohnsteueranrufungsauskunft oder in Übereinstimmung mit den Vorgaben der zuständigen Finanzbehörden der Länder oder des Bundes verfahren wird.
Normenkette
§ 42e, § 42d Abs. 9 Satz 4 i.V.m. § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 1, § 38 Abs. 3a EStG
Sachverhalt
K, ein Maurer- und Betonunternehmen mit Sitz und Geschäftsführung im EU-Ausland, hatte seit 2003 eine Zweigniederlassung in Deutschland. Für die Maurer- und Betonarbeiten entsandte K ausländische Arbeitnehmer auf inländische Baustellen. K beteiligte sich am Urlaubskassenverfahren der SOKA. So erhielten Ks Arbeitnehmer 2005 bis 2008 von der SOKA Abgeltungszahlungen für Urlaubsentschädigungen. Dazu war K am 7.3.2005 vom Betriebsstätten-FA im Einvernehmen mit dem Finanzministerium mitgeteilt worden: Bei Abgeltungszahlungen im laufenden Zeitraum sei nur zu prüfen, ob der 183-Tage-Zeitraum des jeweiligen DBA unterschritten sei; dann sei kein Steuerabzug vorzunehmen. Deshalb führten weder K noch die SOKA für solche Arbeitnehmer (unter 183 Tage im Inland beschäftigt) LSt ab; K übersandte an das FA auch keine Anzeige nach § 38 Abs. 4 und § 41c EStG, obwohl die SOKA regelmäßig detaillierte Übersichten über die ausgezahlten Urlaubsvergütungen übermittelt hatte. Nach einer LSt-Außenprüfung bei K vertrat das FA die Auffassung, dass die SOKA auch für die Arbeitnehmer LSt hätte einbehalten müssen, die den 183-Tage-Zeitraum nicht überschritten hätten. Das FA erließ ohne vorherige Anhörung gegenüber K einen LSt-Haftungsbescheid; Ausführungen zu einer Inanspruchnahme der SOKA fehlten.
Die Klage dagegen war erfolgreich (Sächsisches FG, Urteil vom 23.5.2013, 2 K 473/13, Haufe-Index 4800080, EFG 2013, 1524). Das beklagte FA sei für den Erlass des angefochtenen Haftungsbescheids schon nicht zuständig gewesen.
Entscheidung
Der BFH bestätigte im Ergebnis die Vorinstanz, begründete dies allerdings nicht mit der fehlenden Zuständigkeit, sondern mit dem fehlenden Haftungstatbestand.
Hinweis
Das Besprechungsurteil zeigt: Die Lohnsteuerhaftung ist umfassend, auch bei Lohnzahlungen Dritter, hat aber ihre Grenzen, solange Arbeitgeber oder Dritte sich an die entsprechenden Auskünfte der Finanzverwaltung halten.
1. Nach § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG haftet der Arbeitgeber für die LSt. Übernimmt ein Dritter dessen lohnsteuerliche Pflichten (§ 38 Abs. 3a EStG), haften sowohl der Arbeitgeber als auch der Dritte als Gesamtschuldner (§ 42d Abs. 9 Sätze 1 – 3 EStG). Aber auch hier gilt das Grundprinzip: Keine Haftung, wenn die LSt vorschriftsmäßig einbehalten wurde (§ 42d Abs. 9 Satz 4 i.V.m. § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 EStG).
2.Wann wird die Lohnsteuer vorschriftsmäßig einbehalten? Wenn der die lohnsteuerlichen Arbeitgeberpflichten wahrnehmende Dritte beim LSt-Abzug entsprechend einer Lohnsteueranrufungsauskunft (§ 42e EStG) verfährt (BFH, Urteil vom 17.10.2013, VI R 44/12, BFH/NV 2014, 229, BFH/PR 2014, 79) oder den Lohnsteuerabzug nach den Vorgaben der zuständigen Finanzbehörden der Länder oder des Bundes vornimmt. Hier hatten sich die Sozialkassen der Bauwirtschaft (SOKA) beim LSt-Abzug an die Auskunft vom 7.3.2005 (183-Tage-Grenze) gehalten, also den "Weisungen und Vorschriften" des FA/FM Rechnung getragen. In einem solchen Fall ist eine Haftungsinanspruchnahme nach hergebrachten Grundsätzen nicht gerechtfertigt (BFH, Urteil vom 6.12.1996, VI R 18/96, BFH/NV 1997, 258; BFH/NV 2014, 229, BFH/PR 2014, 79).
3. Angesichts dessen kam es nicht mehr darauf an, dass bei einer ordnungsgemäßen Abführung der weisungsgemäß einbehaltenen Lohnsteuer der Lohnsteueranspruch erlischt und mit der erloschenen Hauptforderung dann auch keine Haftung mehr in Betracht kommt (Akzessorietät der Haftung, BFH, Urteil vom 4.12.2007, VII R 37/06, BFH/NV 2008, 526). Deshalb konnte dann auch die weitere Frage offenbleiben, ob das Betriebsstättenfinanzamt des Arbeitgebers K (also hier das beklagte FA) oder das Betriebsstättenfinanzamt des Dritten (der SOKA) für den Erlass des angefochtenen Lohnsteuerhaftungsbescheids zulasten Ks gem. § 42d Abs. 9 Satz 8 EStG örtlich zuständig gewesen wäre.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 20.3.2014 – VI R 43/13