Leitsatz
Die Geschäftsführerhaftung wird von der Sperrwirkung des § 93 InsO nicht erfasst und kann auch nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens von dem FA mit Haftungsbescheid geltend gemacht werden.
Normenkette
§ 191 AO , § 69 AO , § 34 AO , § 93 InsO , § 128 HGB
Sachverhalt
Ein persönlich haftender Gesellschafter und Geschäftsführer einer KG wurde vom FA mit auf §§ 191, 69, 34 AO gestütztem Haftungsbescheid wegen rückständiger Lohn- und Umsatzsteuern der KG in Anspruch genommen. Dagegen wandte er u.a. ein, über das Vermögen der KG sei das Regel-Insolvenzverfahren eröffnet worden; etwaige Haftungsansprüche dürfen deshalb gem. § 93 InsO ihm gegenüber nicht mehr geltend gemacht werden.
Der AdV-Antrag ist jedoch insoweit in beiden Instanzen ohne Erfolg geblieben.
Entscheidung
Der BFH hebt hervor, die Sperrwirkung des § 93 InsO sei auf die Haftung als Gesellschafter gem. § 128 HGB beschränkt. Demgegenüber unterlägen Individualansprüche, die eine persönliche Mithaftung des Gesellschafters für Gesellschaftsschulden begründen – wie die steuerrechtliche Haftung des Gesellschafter-Geschäftsführers für Steuerschulden der Gesellschaft –, nicht der Sperrwirkung des § 93 InsO.
Dies folge aus der Entstehungsgeschichte der Norm, aber auch deren Wortlaut. Dass das Ziel des Gesetzgebers, die Insolvenzmasse im Interesse der gleichmäßigen Befriedigung aller Gesellschaftsgläubiger anzureichern, Sondervorteile einzelner Gläubiger infolge der Möglichkeit eines schnelleren Zugriffs auf den persönlich haftenden Gesellschafter auszuschließen und die Massearmut zu bekämpfen, hätte besser erreicht werden können, wenn alle Ansprüche gegen Gesellschafter mit einbezogen worden wären, rechtfertige keine erweiternde Auslegung.
Hinweis
1. Gegen AdV-Beschlüsse des FG können Sie nur dann Beschwerde beim BFH einlegen, wenn das FG die Beschwerde (ausdrücklich) zugelassen hat (§ 128 Abs. 3, § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO). Die Zulassungsgründe entsprechen denen bei Zulassung einer Revision. Wegen grundsätzlicher Bedeutung ist nicht nur zuzulassen, wenn sich eine im AdV-Verfahren endgültig zu klärende (verfahrensrechtliche) Frage stellt; Zulassungsgrund kann auch die Klärungsbedürftigkeit einer (im AdV-Verfahren nur auf ihre Zweifelhaftigkeit hin zu untersuchenden, grundsätzlich also nicht zu "entscheidenden") materiell-rechtlichen Zweifelsfrage sein (Beschluss des Großen Senats des BFH vom 28.11.1977, BStBl II 1978, 229; inzwischen ständige Rechtsprechung).
Schweigen des FG-Beschlusses zur Zulassung der Beschwerde bedeutet Nichtzulassung. Dagegen ist – anders als bei der Nichtzulassung der Revision! – kein Rechtsmittel gegeben.
2. Nach § 93 InsO kann die persönliche Haftung eines Gesellschafters für die Verbindlichkeiten seiner (Personen-)Gesellschaft, z.B. einer KG, während der Dauer des Insolvenzverfahrens nur vom Insolvenzverwalter geltend gemacht werden. § 93 InsO hat also eine Art Sperrwirkung; er verhindert, dass Gläubiger der Gesellschaft während der Dauer des Insolvenzverfahrens über das Vermögen derselben gesellschaftsrechtliche Forderungen gegen den Gesellschafter selbst geltend machen. Deren Geltendmachung wird dem Insolvenzverwalter überlassen. Die Vorschrift verhindert damit, dass die betreffenden Ansprüche gegen die Gesellschafter nicht zur Masse eingezogen werden können. Sie sollen allen Insolvenzgläubigern für deren Befriedigung zur Verfügung stehen.
3. Mit Rücksicht auf diesen Sinn der Regelung – Stärkung der Verteilungsmasse – kann man auf den Gedanken kommen, § 63 InsO über seinen Wortlaut hinaus auf jedweden Anspruch gegen Gesellschafter anzuwenden, auch solche aus besonderen Haftungstatbeständen, wie z.B. aus rechtsgeschäftlicher Haftung infolge Bürgschaft, Schuldbeitritt, Garantievertrag oder aus unerlaubter Handlung.
Dies zu tun und vor allem die Anwendung auf die steuerrechtliche Haftung eines Gesellschafters, die nicht dem Gesellschaftsverhältnis, sondern seiner Geschäftsführerstellung entspringt, hat der BFH indes abgelehnt.
4. Beachten Sie, dass der BFH hier in einem AdV-Beschluss eine rechtliche Grundsatzfrage entschieden hat, zu der bisher eine Rechtsprechung fehlte. Ernstliche Zweifel i.S.d. § 69 FGO können also auch bei bislang unentschiedenen Fragen fehlen, wenn die Rechtslage eindeutig erscheint.
Link zur Entscheidung
BFH, Beschluss vom 2.11.2001, VII B 155/01