Leitsatz

Bei einem Wechsel eines Kindes von einem Elternteil zum anderen kann das Kind auch dann in den neuen Haushalt aufgenommen sein (§ 64 Abs. 2 Satz 1 EStG), wenn der Wechsel zwar noch nicht endgültig ist, das Kind aber für einen längeren Zeitraum von dem aufnehmenden Elternteil betreut und unterhalten wird.

 

Normenkette

§ 64 Abs. 2 Satz 1 EStG

 

Sachverhalt

Der Kläger und die Beigeladene (Mutter) sind seit Mai 1987 geschieden. Zwei gemeinsame Töchter lebten zunächst im Haushalt des sorgeberechtigten Klägers, der das Kindergeld bezog. Im September bzw. Oktober 1996 zogen die beiden Töchter gegen den Willen des Klägers zu ihrer Mutter. Vor dem Familiengericht einigten sich der Kläger und die Mutter im Rahmen eines Sorgerechtsverfahrens darauf, dass die Töchter zunächst für drei Monate bei der Mutter wohnen sollten. Im März 1997 wurde das Sorgerecht vom Familiengericht einvernehmlich auf die Mutter übertragen. Die Töchter verblieben endgültig in deren Haushalt.

Die Familienkasse hob die Kindergeldfestsetzung gegenüber dem Kläger ab Oktober bzw. November 1996 auf und forderte das bis März 1997 gezahlte Kindergeld zurück.

Das FG gab der Klage statt. Dem Kläger stehe das Kindergeld bis März 1997 zu, da die Töchter bis dahin nur vorübergehend im Haushalt der Mutter untergebracht gewesen seien.

 

Entscheidung

Der BFH hob die Vorentscheidung auf und wies die Klage ab. Eine Verweildauer der Töchter von jedenfalls über drei Monaten sei auch bei einem vorläufigen Umzug ausreichend, um eine Haushaltsaufnahme bei der Mutter anzunehmen. Bei einer solchen Haushaltsaufnahme werde der Zeitraum für einen gewöhnlichen Ferienaufenthalt überschritten.

 

Hinweis

Der Anspruch auf Kindergeld steht grundsätzlich beiden Elternteilen zu. Für jedes Kind wird aber nur einem Berechtigten Kindergeld gezahlt (§ 64 Abs. 1 EStG). Eine Aufteilung des Kindergeldes findet nicht statt; vielmehr wird das Kindergeld demjenigen gezahlt, der das Kind in seinen Haushalt aufgenommen hat.

Haushaltsaufnahme i.S.d. § 64 Abs. 2 EStG bedeutet die Aufnahme in die Familiengemeinschaft mit einem dort begründeten Betreuungs- und Erziehungsverhältnis familienhafter Art. Neben dem örtlich gebundenen Zusammenleben müssen Voraussetzungen materieller Art (Versorgung, Unterhaltsgewährung) und immaterieller Art (Fürsorge, Betreuung) erfüllt sein.

Demnach gehört ein Kind dann in den Haushalt eines Elternteils, wenn es dort wohnt, versorgt und betreut wird, so dass es sich in der Obhut dieses Elternteils befindet. Formale Gesichtspunkte, z.B. die Sorgerechtsregelung oder die Eintragung in ein Melderegister, können für die Frage der Haushaltsaufnahme allenfalls unterstützend herangezogen werden.

Eine nur vorübergehende, zeitlich begrenzte Aufnahme (z.B. zu Besuchszwecken oder in den Ferien) stellt aber noch keine Haushaltsaufnahme i.S.d. § 64 Abs. 2 EStG dar. Davon hat der BFH jedoch solche Fälle – wie den Streitfall – abgegrenzt, in denen die Aufnahme zwar zunächst noch nicht endgültig, aber immerhin für einen längeren Zeitraum – hier: über 3 Monate – erfolgt. Hier liegt eine (neue) Haushaltsaufnahme vor.

Ausdrücklich offen gelassen hat der BFH allerdings, wie in Fällen des widerrechtlichen Entzugs von Kindern, z.B. in Entführungsfällen, zu entscheiden ist.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 20.6.2001, VI R 224/98

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