Entscheidungsstichwort (Thema)
Änderung wegen neuer Tatsachen bei Verletzung der Ermittlungspflicht
Leitsatz (redaktionell)
- Eine Änderung nach § 173 AO kommt nicht in Betracht, wenn die steuerrechtlichen Wirkungen der neuen Tatsachen bei gehöriger Erfüllung der Ermittlungspflicht des Finanzamtes bereits bei Erlass des ursprünglichen Bescheides eingetreten wären.
- Ist eine Aufhebungsvereinbarung über den Kauf eines Grundstücks mangels notarieller Beurkundung unwirksam und hat das Finanzamt dies wegen unsorgfältiger Ermittlungstätigkeit verkannt und daraufhin den ursprünglichen Grunderwerbsteuerbescheid über den Grundstückskauf gemäß § 16 Abs. 1 GrEStG aufgehoben, kann es die Aufhebung des Grunderwerbsteuerbescheides nicht wegen neuer Tatsachen ändern, wenn zwischenzeitlich andere tatsächliche Umstände eingetreten sind, die zum Eigentumsübergang führen.
Normenkette
AO § 173 Abs. 1 Nr. 1; GrEStG § 16
Streitjahr(e)
2002
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob das Finanzamt berechtigt war, mit einem nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 Abgabenordnung (AO) erlassenen Änderungsbescheid einen zuvor auf § 172 AO gestützten Aufhebungsbescheid zur Grunderwerbsteuer rückgängig zu machen.
Mit notariellem Vertrag vor dem Notar A vom 06.03.2002 (Urkundenrolle Nr. /2002) veräußerte die B-GmbH (B-GmbH) an die Klägerin (GmbH) das dort bezeichnete Grundstück zu einem Kaufpreis von 153.388 €. Geschäftsführer beider GmbHs war C. Vor dem Notar trat D als Bevollmächtigter des C auf, der seinen Wohnsitz auf X/Spanien hat. In § 9 des Vertrages erklärten die Vertragsparteien die Auflassung, die Verkäuferin bewilligte und die Klägerin beantragte übereinstimmend die Eintragung der Eigentumsänderung im Grundbuch. Weiter bewilligte die Verkäuferin und beantragte die Klägerin die Eintragung einer Vormerkung zur Sicherung des Anspruchs auf Übertragung des Eigentums zu ihren Gunsten. In § 11 des Vertrages wurde der Notar beauftragt, im Namen der Vertragsparteien die genannten Anträge und Erklärungen zu stellen bzw. abzugeben. Auf den Vertrag vom 06.03.2002, der sich bei den Finanzamtsakten befindet, wird verwiesen. Die Vormerkung wurde am 15.03.2002 im Grundbuch eingetragen.
Mit Bescheid vom 04.06.2002, auf den wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, setzte das beklagte Finanzamt bei einer Bemessungsgrundlage von 153.388 € die Grunderwerbsteuer auf 5.368 € gegenüber der Klägerin als Erwerberin fest. Hiergegen legte diese Einspruch ein, der beim Finanzamt am 07.06.2002 einging. Es wurde vorgetragen, der Erwerbsvorgang sei grunderwerbsteuerfrei, weil die Gesellschafter der Verkäuferin und der Klägerin identisch seien. Nachdem das Finanzamt unter dem 18.07.2002 mitgeteilt hatte, die genannte Steuerfreiheit greife bei Kapitalgesellschaften nicht Platz, legte die Klägerin eine Aufhebungsvereinbarung zwischen der B-GmbH und der D-GmbH vom 20.06.2002 vor. Die Vereinbarung war maschinenschriftlich abgefasst und trug die Unterschrift des C. Das Anschreiben vom 24.09.2002 äußerte die Ansicht, die „Angelegenheit sei damit erledigt”. Mit Bescheid vom 18.10.2002 hob das Finanzamt den Erstbescheid vom 04.06.2002 auf. Zur Begründung wird auf § 172 Abs. 1 Nr. 2 AO hingewiesen, der Einspruch vom 06.06.2002 sei damit erledigt. Auf den Bescheid wird Bezug genommen.
Am 20.10.2003 ging beim beklagten Finanzamt der notarielle Veräußerungsvertrag vom 17.09.2003 vor der Notarin E (Nr. der Urkundenrolle für 2003) ein. In diesem Vertrag veräußerte die B-GmbH das oben genannte Grundstück, das bereits Gegenstand des Kaufvertrags vom 6.3.2002 war, an die Käufer F und G je zur Hälfte für insgesamt 260.000 €. In § 3 des Vertrages bewilligte und beantragte die Klägerin die Löschung der Eigentumsübertragungsvormerkung vom 15.03.2002. In § 4 des Vertrages wurde festgelegt, dass die Käufer wegen einer zu Gunsten der Klägerin vereinbarten Abtretung einen Teil des Kaufpreises direkt an diese zahlen sollten. Vor der Notarin erschien wiederum D in Vollmacht des C für die B-GmbH und die Klägerin. Auf den Vertrag vom 17.09.2003 wird insgesamt hingewiesen.
Mit Schriftsatz vom 11.11.2003 legte das Finanzamt gegenüber der Klägerin dar, der Erstbescheid über die Festsetzung der Grunderwerbsteuer sei gemäß § 172 Abs. 1 Nr. 2 AO aufgehoben worden, weil man in der Übersendung der Aufhebungsvereinbarung zwischen der B-GmbH und der Klägerin vom 20.06.2002 einen Antrag im Sinne des § 16 Abs. 1 Nr. 1 Grunderwerbsteuergesetz gesehen habe. Man sei davon ausgegangen, dass der Erwerbsvorgang innerhalb einer Frist von zwei Jahren zivilrechtlich wirksam rückgängig gemacht worden sei. Nunmehr sei aber durch den notariellen Vertrag vom 17.09.2003 offenbar geworden, dass die Klägerin ihre wirtschaftliche Verfügungsmacht über das Grundstück behalten habe, weil ein Teil des Kaufpreises nicht an die veräußernde B-GmbH, sondern an die Klägerin zu zahlen gewesen sei. Damit sei der ursprüngliche Erwerbsvorgang nicht rückgängig gemacht worden. Dies stelle eine neue Tatsache dar, die das Finanzamt zur Aufhebu...