Entscheidungsstichwort (Thema)
Umsatzsteuerliche Organschaft bei der insolvenzrechtlichen Eigenverwaltung
Leitsatz (redaktionell)
- Dem Fortbestand einer umsatzsteuerrechtlichen Organschaft steht die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht in jedem Fall entgegen. Dies gilt insbesondere auch für die Besonderheiten der insolvenzrechtlichen Eigenverwaltung im Hinblick auf die organisatorische Eingliederung der Organgesellschaft bei Insolvenz von Organträger und Organgesellschaft.
- Der zivilrechtliche Ausgleichsanspruch des Organträgers gegen die Organgesellschaft gehört zu den Masseverbindlichkeiten einer insolventen Organgesellschaft.
- Zu den Masseverbindlichkeiten des Organträgers gehört auch die durch Betätigung der Organgesellschaft entstandene Umsatzsteuer.
Normenkette
InsO § 160 Abs. 2, § 270 Abs. 1 S. 1, §§ 272, 274 Abs. 3, § 275 Abs. 1-2, § 277 Abs. 2 S. 1, Abs. 3 S. 1; UStG § 2 Abs. 2 Nr. 2
Streitjahr(e)
2012
Nachgehend
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um das Fortbestehen einer umsatzsteuerlichen Organschaft.
Die Klägerin betreibt ein Unternehmen, dessen ins Handelsregister eingetragener Gegenstand die Herstellung und der Vertrieb von Bodenbelägen, Heim- und Industrietextilien und sonstigen Erzeugnissen sowie der Handel mit Textilerzeugnissen ist. Ihre Geschäftsführer im Streitzeitraum waren die Herren A, B und C. Herr A war als einziger alleinvertretungsberechtigt.
An folgenden sechs Gesellschaften war die Klägerin unmittelbar oder – über ihre Tochtergesellschaft D – mittelbar alleinige Anteilseignerin: E, F, G, H, I sowie J. Wegen Einzelheiten zur Konzernstruktur wird auf Bl. 51 Rückseite der InsO-Akte Bezug genommen. Unternehmensgegenstand der genannten Gesellschaften war insbesondere die Herstellung und der Vertrieb von Bodenbelägen. Die Unternehmensbereiche der Klägerin und ihrer Tochtergesellschaften waren dergestalt miteinander verflochten, dass zwischen ihnen abgestimmte Geschäfts- und Rechtsbeziehungen bestanden.
Im Streitzeitraum Mai 2012 war bei den ersten fünf Gesellschaften Herr A einziger alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer. Neben ihm waren jeweils Herr C sowie weiterhin bei der E Herr K, bei der F Herr B und Herr L, bei der G Herr M und Herr B, bei der H Herr L sowie bei der I Herr M als Geschäftsführer bestellt, welche die Gesellschaften jeweils nur zusammen mit einem anderen Geschäftsführer oder einem Prokuristen vertreten durften.
Geschäftsführer der J schließlich waren Herr N, der bei der Klägerin zugleich als leitender Angestellter tätig war, sowie Herr C. Wegen Einzelheiten zu den Geschäftsführungen der Klägerin und ihrer Tochtergesellschaften wird auf die jeweiligen Handelsregisterauszüge sowie auf die Beschlüsse über die Eröffnung der Insolvenzverfahren (Bl. 8 bis 44 des Sonderbands Organschaft USt ab 1.5.12 sowie Bl. 206 ff. der Verfahrensakte) Bezug genommen.
Für die Zeit bis zum 01.05.2012 bestand zwischen den Beteiligten Einvernehmen darüber, dass die sechs Tochtergesellschaften in die Klägerin finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch eingegliedert waren und somit die Voraussetzungen einer umsatzsteuerrechtlichen Organschaft vorlagen.
Am XXXXXX stellte die Klägerin beim Amtsgericht O einen Insolvenzantrag und beantragte die Eigenverwaltung. Mit Beschluss vom selben Tag (Az. XXXXXX) bestellte das Amtsgericht Herrn RA P zum vorläufigen Sachwalter und ordnete an, dass die Klägerin berechtigt ist, unter Aufsicht des vorläufigen Sachwalters die Insolvenzmasse weiter zu verwalten und über sie zu verfügen.
Mit Beschluss vom XXXXXX eröffnete das Amtsgericht dann das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Klägerin und zeitgleich auch über das Vermögen aller sechs genannten Tochtergesellschaften. Für alle Verfahren wurde Eigenverwaltung im Sinne von § 270 Abs. 1 der Insolvenzordnung (InsO) angeordnet, Herr RA P jeweils zum Sachwalter bestellt und Gläubigerausschüsse eingesetzt. In allen Eröffnungsbeschlüssen ist angeordnet, dass die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis gem. § 270 Abs. 1 Satz 1 InsO bei der jeweiligen Schuldnerin verbleibt und schuldbefreiende Leistungen nur an diese zu erfolgen haben. Insoweit wird auf Bl. 40 bis 59 der Verfahrensakten bzw. Bl. 187 bis 190 der InsO-Akte verwiesen.
Die für die Klägerin sowie deren Tochtergesellschaften gesondert abgegebenen Umsatzsteuer-Voranmeldungen für Mai 2012 fasste der Beklagte (das Finanzamt, FA) unter der Annahme, das Organschaftsverhältnis bestehe fort, zusammen und setzte mit Datum vom 05.07.2012 die Umsatzsteuer-Vorauszahlung der Klägerin auf XXXXXX € fest. Die Vorauszahlungen der Tochtergesellschaften wurden dem entsprechend mit Bescheiden vom 24.07.2012 auf 0 € festgesetzt. Bezüglich der für die einzelnen Gesellschaften vorangemeldeten Beträge wird auf Bl. 25 der Akte zu dem Verfahren 6 V 2469/12 verwiesen. Die I wurde bei der Festsetzung im Bescheid vom 05.07.2012 noch nicht berücksichtigt, sondern erst bei Erlass eines Änderungsbescheides, der vom 18.10.2012 da...