Unter anderem durch diesen Mechanismus des unbemerkten Zielwechsels kann es zu Fehlentscheidungen kommen. Die nächste Binsenweisheit besagt, dass man aus Fehlern lernt. Aber offensichtlich ist dies nicht in dem Ausmaß gegeben, dass Entscheidungsprozesse automatisch davon profitieren. Warum das so ist, hat mehrere Gründe. Man lernt nicht aus Fehlentscheidungen per se, sondern man lernt aus der Analyse von Fehlentscheidungen.[1] Oft werden das Treffen von Fehlentscheidungen und deren Analyse jedoch fälschlicherweise gleichgesetzt. Ein Lernen kann nur dann stattfinden, wenn die Tiefenstruktur des Fehlers aufgedeckt wird. Erst dann kann "negatives Wissen"[2] entstehen. Jenes Wissen also, wie man etwas in Zukunft nicht machen sollte. Erschwerend kommt hinzu, dass Lernen prinzipiell dann am besten funktioniert, wenn Aktion und Effekt zeitlich nahe beieinander liegen. Dies ist bei Fehlentscheidungen jedoch oft nicht gegeben, da sich Entscheidungsprozesse über lange Zeiträume erstrecken können und der Grund für ein etwaiges Scheitern letztlich Monate zurückliegen kann.[3] Klare Aktion-Effekt-Zuteilungen werden auch dadurch erschwert, dass oft mehrere (Fehl-)Handlungen zum letztendlich negativen Ergebnis geführt haben können.

In Bezug auf die bereits angesprochenen psychischen Bedürfnisse zeigt sich, dass diese auch in der Analyse von Fehlern eine Rolle spielen. Fehlentscheidungen und deren Konsequenzen sind meist ein massiv negatives Signal für das eigene Kompetenzgefühl. Weitere Analysen, was man vielleicht noch zusätzlich falsch gemacht hat, kann dieses negative Signal noch weiter verstärken. Dadurch wird die Analyse entweder gleich komplett ausgelassen oder nur oberflächlich betrieben. Ein typischer Effekt ist, dass der Grund für das Scheitern der Entscheidung auf andere Personen oder äußere Gegebenheiten attribuiert wird, die der Entscheider nicht verantworten muss. Auch dieses Verhalten ist aus bedürfnisregulatorischer Sicht sinnvoll (man schützt sich und sein Selbst zu einem gewissen Grad), steht aber einem Lernen durch Fehler entgegen.

Die beschriebenen Punkte zeigen auf, weshalb Entscheidungen von ihrem Naturell aus bereits schwierig sein können, inwiefern Komplexität das Entscheiden erschweren und welche Auswirkungen sie auf den Menschen als Entscheider haben kann. Diese Auswirkungen zeigen sich im Entscheidungsprozess, unter anderem durch sogenannte kognitive Verzerrungen. Das eigentliche Ziel der Entscheidung gerät unbemerkt aus dem Fokus. An seine Stelle treten Ziele, die mehr der Regulation der eigenen Bedürfnisse dienen.

Ansätze, die versuchen, Entscheidungsprozesse vor diesen Einflüssen zu schützen, werden auch als Debiasing-Interventionen beschrieben, also entzerrende Eingriffe. Auch wenn der Name unglücklich gewählt ist, ist das Ziel klar: auf Entscheidungsprozesse so einzuwirken, dass die Wahrscheinlichkeit, das eigentliche Ziel der Entscheidung zu erreichen, maximiert wird (eine Garantie gibt es nicht).

[1] Schickore, 2008.
[2] Oser/Spychiger, 2005.
[3] Strohschneider, 2016.

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