Leitsatz
1. Rechnungsaussteller und leistender Unternehmer müssen grundsätzlich identisch sein.
2. Bei einem Handeln im fremden Namen ist umsatzsteuerrechtlich die dem Leistungsempfänger erbrachte Leistung grundsätzlich dem Vertretenen zuzurechnen.
3. Dabei kann der Lieferer dem Abnehmer die Verfügungsmacht an dem Gegenstand auch dadurch verschaffen, dass er einen Dritten, der die Verfügungsmacht bislang innehat, mit dem Vollzug dieser Maßnahme beauftragt.
4. Der Unternehmer, der unter fremdem Namen auftritt, liefert dagegen selbst, wenn nach den erkennbaren Umständen durch sein Handeln unter fremdem Namen lediglich verdeckt wird, dass er und nicht der "Vertretene" die Lieferung erbringt.
5. Die Feststellung, welcher Leistungsbeziehung die Verschaffung der Verfügungsmacht zuzurechnen ist, ist im Wesentlichen tatsächliche Würdigung.
Normenkette
§ 3 Abs. 1 UStG , § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG , § 14 UStG
Sachverhalt
Das FA ließ in den Umsatzsteuerbescheiden für 1993 und für 1994 die von der X-GmbH geltend gemachten Vorsteuerbeträge aus Rechnungen der Y-GmbH nicht zum Abzug zu.
Der Sachverhalt ist umfangreich und wird aufs Wesentlichste reduziert. Die Y-GmbH wurde von S (Alleingesellschafter-Geschäftsführer S) gegründet, um den inländischen Abnehmern von geschmuggelten Computerteilen den Vorsteuerabzug zu ermöglichen und die Lieferungen als verzollt darstellen zu können. Als Sitz mit Briefkasten war die Adresse des Steuerberaters Sch im Inland angegeben. Geschäftstätigkeiten irgendwelcher Art fanden unter der als Geschäftssitz angegebenen Anschrift nicht statt.
Unmittelbar nach Gründung der Y-GmbH erlaubte S dem Verwaltungspräsidenten der Z-AG, W, der auch das Gründungskapital der Y-GmbH gestellt hatte, den errichteten Firmenmantel der "Y-GmbH" auch für den Vertrieb der von ihm, W, eingeschmuggelten elektronischen Bauteile zu nutzen.
Das FA ließ den Vorsteuerabzug aus Rechnungen der Y-GmbH nicht zum Abzug zu, weil es sich bei der Rechnungsausstellerin, der Y-GmbH, um eine Scheinfirma handele. Die Klage hatte keinen Erfolg.
Entscheidung
Die Revision des Klägers (des Konkursverwalters der X-GmbH) hatte keinen Erfolg. Das FG war bei seiner Entscheidung davon ausgegangen, dass die Y-GmbH die streitigen Lieferungen von Computerteilen an die X-GmbH nicht erbracht hat, sondern insoweit nur unter deren Namen Rechnungen ausgestellt worden sind.
Dieser Würdigung lag die Feststellung zugrunde, dass die Y-GmbH von vornherein nicht auf die Erzielung von Einnahmen ausgerichtet war und deren Geschäftsführer von den streitigen Lieferungen keine konkreten Kenntnisse gehabt habe, dass die X-GmbH einen Rahmenvertrag über Lieferungen mit der Z-AG geschlossen hatte, dass die Waren – obwohl abweichend von dem Rahmenvertrag es sich um Lieferungen der Y-GmbH handeln sollte – in Übereinstimmung mit dem Rahmenvertrag mit Warenbegleitpapieren der Z-AG geliefert bzw. von Fahrern der X-GmbH bei der Z-AG abgeholt worden waren und dass ungeachtet des Umfangs der Geschäfte im Firmencomputer der X-GmbH kein Ansprechpartner für den angeblichen Lieferanten, die Y-GmbH, festgehalten worden war, die Kontakte über die Lieferungen nur über einen Telefonanschluss der Z-AG erfolgt waren, die X-GmbH nicht auf das in den Rechnungen angegebene Konto bezahlte. Diese Würdigung war angesichts des Umfangs der Lieferungen, der offensichtlichen Ungereimtheiten bei der Abwicklung möglich. Ob auch eine andere Würdigung möglich gewesen wäre, war insoweit unerheblich.
Hinweis
Die Besprechungsentscheidung betrifft einen Sachverhalt, bei dem typischerweise die Stichworte Scheinunternehmen, Strohmann, Briefkastenfirma auftauchen und leicht die umsatzsteuerrechtliche Bodenhaftung verloren geht. Schritt für Schritt geht es um Folgendes:
1. Rechnungsaussteller und leistender Unternehmer müssen grundsätzlich identisch sein (ständige Rechtsprechung).
2. Regelmäßig ergibt sich aus den abgeschlossenen zivilrechtlichen Vereinbarungen, wer bei einem Umsatz als Leistender anzusehen ist. Leistender ist in der Regel derjenige, der die Lieferungen oder sonstigen Leistungen im eigenen Namen gegenüber einem Anderen selbst oder durch einen Beauftragten ausführt. Ob eine Leistung dem Handelnden oder einem Anderen zuzurechnen ist, hängt grundsätzlich davon ab, ob der Handelnde gegenüber Dritten im eigenen Namen oder berechtigterweise im Namen eines Anderen bei Ausführungen entgeltlicher Leistungen aufgetreten ist.
3. Auch wer in fremdem Namen auftritt, erbringt eine eigene Leistung, wenn nach den erkennbaren Umständen durch sein Handeln in fremdem Namen lediglich verdeckt wird, dass er und nicht der Vertretene der Leistende ist.
4. Eine Lieferung im umsatzsteuerrechtlichen Sinn besteht in der Verschaffung der Verfügungsmacht zugunsten des Leistungsempfängers (§ 3 Abs. 1 UStG); das bedeutet, dass ihm Substanz, Wert und Ertrag an dem betreffenden Gegenstand übertragen werden. Dabei kann der Lieferer dem Abnehmer die Verfügungsmacht an dem Gegenstand auch dadurch verschaffen, dass er einen Dritten, der die Ver...