Leitsatz
Ein Kind befindet sich nicht in Ausbildung, wenn es sich zwar an einer Universität immatrikuliert, aber tatsächlich das Studium noch nicht aufgenommen hat und vorerst weiter einer Vollzeiterwerbstätigkeit nachgeht.
Normenkette
§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2a EStG , § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG
Sachverhalt
Die Tochter (T) des Klägers befand sich von September 1994 bis Januar 1997 in Ausbildung zur Speditionskauffrau. Nach Bestehen der Prüfung im Januar 1997 schloss sie mit ihrem früheren Ausbildungsbetrieb einen befristeten Anstellungsvertrag für die Zeit von Januar bis September 1997. Sie erhielt für Januar 1997 eine Ausbildungsvergütung von 1 671 DM und ein Gehalt für Februar bis September 1997 von monatlich 2 700 DM. T war ab April 1997 an einer Universität immatrikuliert; das Studium nahm sie tatsächlich aber erst ab Oktober 1997 auf.
Die Familienkasse vertrat die Ansicht, T habe sich im Jahr 1997 durchgehend in Ausbildung befunden.
Die Klage, mit der der Kläger im Wesentlichen Kindergeld für T für die Monate Januar sowie Oktober bis Dezember 1997 begehrte, war hinsichtlich des Monats Januar erfolgreich. Das FG entschied im Übrigen, die Klage sei mangels Vorverfahren unzulässig.
Entscheidung
Die Revision des Klägers, mit der Kindergeld für die Monate Oktober bis Dezember begehrt wurde, war erfolgreich. Entgegen der Ansicht des FG habe ein Vorverfahren (vgl. § 44 FGO) auch für die genannten Monate stattgefunden.
Die Revision sei auch in der Sache begründet, da sich T nur in den Monaten Januar sowie Oktober bis Dezember 1997 in Berufsausbildung (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2a EStG) befunden habe. Während der Zeit der Vollzeiterwerbstätigkeit (Februar bis September 1997) sei dies nicht der Fall gewesen. Auch eine Übergangszeit nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2b EStG liege nicht vor. Die Einkünfte und Bezüge der T für die Monate Februar bis September 1997 seien deshalb bei der Bemessung des Grenzbetrags nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG außer Betracht zu lassen. Der (anteilige) Jahresgrenzbetrag in Höhe von 4 000 DM sei folglich nicht überschritten worden.
Hinweis
Das Ergebnis der Besprechungsentscheidung war durch frühere Entscheidungen des BFH zum Kindergeld in gewisser Weise vorgezeichnet. Bereits im Urteil vom 24.5.2000 (VI R 143/99, BStBl II 2000, 473) hatte sich der BFH zur Beendigung der Berufsausbildung bei Erwerbstätigkeit des Kindes geäußert. Beginnt das Kind eine Vollzeiterwerbstätigkeit, so endet die Berufsausbildung bereits nach Ableistung der letzten Prüfungsleistungen, selbst wenn das Prüfungsergebnis noch nicht bekannt gegeben worden ist. In einem solchen Fall bereitet sich das Kind nicht mehr ernstlich auf ein Berufsziel vor, auch wenn formal die Prüfung noch nicht abgeschlossen ist.
In einer ähnlichen Situation befindet sich ein Kind, das sich zwar schon für eine (weitere) Berufsausbildung angemeldet oder eingeschrieben hat, aber vorerst weiter vollerwerbstätig ist. Das Kind will zwar künftig seine Berufsausbildung fortführen oder beginnen; es wird aber in der Zwischenzeit nicht ausgebildet, so dass der Berücksichtigungstatbestand des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2a EStG nicht gegeben ist.
Das Ergebnis des Besprechungsurteils stimmt im Übrigen mit der Rechtsprechung des BFH zur Gewährung von Kindergeld während einer Übergangszeit zwischen zwei Ausbildungsabschnitten überein. Insbesondere im Urteil vom 19.10.2001 (VI R 39/00) hatte der BFH befunden, dass eine Vollzeiterwerbstätigkeit eines Kindes weder den Tatbestand des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2b EStG noch denjenigen des Nr. 2c erfüllt. Auf die ausführliche Besprechung in BFH-PR 2002, 91 wird hingewiesen.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 23.11.2001, VI R 77/99