Prof. Dr. Stefan Schneider
Leitsatz
Entsteht bei einem Steuerpflichtigen infolge der Inanspruchnahme der Steuerermäßigung nach § 35a EStG ein sog. Anrechnungsüberhang, kann der Steuerpflichtige weder die Festsetzung einer negativen ESt i.H. dieses Anrechnungsüberhangs noch die Feststellung einer rück- oder vortragsfähigen Steuerermäßigung beanspruchen.
Normenkette
§ 35a EStG, Art. 3 Abs. 1 GG
Sachverhalt
Die Kläger, zur ESt zusammen veranlagte Ehegatten, nahmen im Streitjahr (2006) Handwerkerleistungen für Renovierungsmaßnahmen in Anspruch. Für den darauf entfallenden Lohnanteil (3 046 EUR) machten sie die Steuerermäßigung nach § 35a EStG i.H.v. 600 EUR geltend. Eine solche Steuerermäßigung ergab sich allerdings nicht, weil die ESt ohnehin schon mit 0 EUR festzusetzen war. Deshalb beantragten sie, eine negative ESt von 600 EUR festsetzen, hilfsweise einen vor- bzw. rücktragsfähigen Anrechnungsüberhang feststellen zu lassen.
Das FA lehnte ab. Die Klage blieb erfolglos (FG Köln, Urteil vom 14.08.2008, 10 K 4217/07, Haufe-Index 2062645, EFG 2009, 36).
Entscheidung
Die Revision der Kläger war ebenso erfolglos. Der BFH wies sie aus den vorstehend genannten Gründen zurück.
Hinweis
§ 35a EStG gewährt ESt-Ermäßigungen. Das setzt freilich eine zu ermäßigende Steuerschuld voraus. Schuldet ein Steuerpflichtiger mangels ausreichendem Einkommen keine ESt, läuft die Steuerermäßigung ins Leere. Das war die Ausgangslage beim Kläger im hier besprochenen Urteil. Daher beantragte er die Festsetzung einer negativen ESt, hilfsweise die Feststellung einer rück- oder vortragsfähigen Anrechnung.
Der BFH lehnte beides mit ausführlicher einfachrechtlicher und verfassungsrechtlicher Begründung ab.
1. Der BFH bejahte zwar ausnahmsweise eine Beschwer i.S.d. § 40 Abs. 2 FGO, obwohl der Steuerbescheid auf Null lautete (BFH, Urteil vom 23.04.2008, X R 32/06, BFH/NV 2008, 1581, BFH/PR 2008, 413), weil der Kläger statt der ESt-Festsetzung von Null eine negative ESt mit Erstattung begehrte. Er lehnte aber die Festsetzung einer negativen ESt i.H. des bei Inanspruchnahme der Steuerermäßigung nicht ausgeschöpften Ermäßigungsbetrags, also i.H. der "verlorenen" Steuerermäßigung ab; das sehe § 35a EStG nicht vor. Dem ESt-Recht seien grundsätzlich sowohl die Festsetzung einer negativen ESt als auch die hierdurch im wirtschaftlichen Ergebnis bewirkte Gewährung von (Sozial-)Leistungen fremd. Selbst die kindergeldrechtlichen Regelungen im EStG hätten als Bestandteil des Familienleistungsausgleichs gem. §§ 31f., 62 ff. EStG vorrangig steuerrechtliche und nur ausnahmsweise (§ 31 S. 2 EStG) sozialrechtliche Funktion, ähnlich auch die auf einkommensteuerrechtlicher Grundlage betriebene Förderung privater Altersvorsorge.
2. Verfassungsrechtlich sei es nicht geboten, die geminderte finanzielle Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen über die Festsetzung einer ESt i.H.v. Null hinaus zu berücksichtigen. Gleichbehandlung hinsichtlich finanzieller Lasten finde ihre objektive Grenze dort, wo der Einzelne überhaupt keine solche finanzielle Last trägt. Umverteilungsgesichtspunkte seien von Verfassungs wegen jedenfalls nicht im ESt-Recht zu berücksichtigen.
Der Lenkungszweck des § 35a EStG ändere daran nichts. Beschäftigungsverhältnisse und handwerkliche Tätigkeiten im Privathaushalt zu fördern sowie Schwarzarbeit zu bekämpfen verlangten von Verfassungs wegen über die steuerliche Entlastung hinaus nicht noch (Förder-)Mittel. Nur bestimmten Steuerpflichtigen eingeräumte Steuerermäßigungen erforderten zwar im Hinblick auf die dadurch ausgelöste ungleichmäßige steuerliche Belastung besondere Rechtfertigungen. Doch auch daraus ergebe sich kein systemfremder Anspruch auf Erstattung eines nicht ausgenutzten Steuerermäßigungsbetrags.
Der Gesetzgeber könne (steuerliche) Förderung durch Abzüge von der Bemessungsgrundlage ebenso zulassen wie Abzüge von der Steuerschuld – so etwa bei der Steuerermäßigung nach § 35a EStG – oder auch echte Zuschüsse und den einmal gewählten Förderweg auch wechseln. Ob der Steuergesetzgeber die zweckmäßigste, vernünftigste und gerechteste Lösung gefunden hat, sei nicht zu prüfen.
Hinsichtlich des Feststellungsantrags, den nicht ausgenutzten Steuerermäßigungsbetrag in einer Art Feststellungsverfahren festzuschreiben, war die Klage schon unzulässig, da insoweit der außergerichtliche Rechtsbehelf nach § 44 Abs. 1 FGO fehlte. Unabhängig davon sah der BFH aber auch in der Sache dafür keine Rechtsgrundlage. Die einfachrechtliche Lage nach § 35a EStG sei eindeutig. Die Steuerermäßigung sei auch der Höhe nach begrenzt, es werde nur die um sonstige Steuerermäßigungen verminderte tarifliche ESt ermäßigt. Verfassungsrechtlich sei ein solcher Übertrag auch nicht geboten.
Auch aus der zeitlich begrenzten Rück- und Vortragsfähigkeit der Steuerermäßigung nach § 34f Abs. 3 EStG beim Baukindergeld, das die Schaffung von Wohnraum für kinderreiche Eltern fördern solle, folgten keine gleichheitsrechtlichen Bedenken gegen § 35a EStG. Denn gerade der vom Gesetzgeber als "soziale Komponente" gekennzeichnete...