Dr. Hubertus Gschwendtner
Leitsatz
1. Der Begriff der Entsendung zur vorübergehenden Dienstleistung ins Inland in § 62 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 EStG ist ebenso zu verstehen wie in § 5 SGB IV.
2. Ein ausländischer Arbeitnehmer ist dann nicht zur vorübergehenden Dienstleistung ins Inland entsandt, wenn er im Rahmen eines Konzerns für eine inländische Tochtergesellschaft in der Rechtsform einer juristischen Person tätig ist, der Arbeitnehmer in den Betrieb dieser Gesellschaft eingegliedert ist und diese auch das Arbeitsentgelt zahlt (Anschluss an das Urteil des Bundessozialgerichts vom 7.11.1996, 12 RK 79/94, BSGE 79, 214).
Normenkette
§ 62 Abs. 2 Satz 2 EStG , § 4 Abs. 1 SGB IV , § 5 Abs. 1 SGB IV
Sachverhalt
Der Kläger – ein Ausländer – war für voraussichtlich etwa vier Jahre von seinem Arbeitgeber, einer Konzerngesellschaft, nach Deutschland entsandt und hier bei einer 100%igen Konzerntochter angestellt worden. In deren Betrieb war er eingegliedert, von dieser bezog er sein Gehalt und mit seinen Bezügen unterlag er der deutschen Sozialversicherungspflicht. Allerdings behielt er den Anspruch auf das sog. Heimatgehalt gegenüber der Konzerngesellschaft bei.
Der Kläger wohnte mit seiner Familie von Anfang 1996 bis Ende 1997 in Deutschland und wurde hier auch zur Einkommensteuer veranlagt. Den Antrag des Klägers, ihm für seine Kinder Kindergeld zu gewähren, lehnte der Beklagte mit dem Hinweis auf seine vorübergehende Entsendung ab (§ 62 Abs. 2 Satz 2 EStG).
Das FG wies die Klage ab (EFG 1999, 477). Durch die Aufrechterhaltung eines Rumpfarbeitsverhältnisses zum bisherigen Arbeitgeber im Ausland dokumentiere ein lediglich entsandter Arbeitnehmer, dass weiterhin eine soziale Bindung zum Entsendestaat bestehe.
Entscheidung
Der BFH hob das Urteil auf und verpflichtete den Beklagten, dem Kläger Kindergeld in der gesetzlichen Höhe zu gewähren.
Der Entsendungsbegriff des § 62 Abs. 2 EStG sei über die Regelungen des Sozialversicherungsrechts auszulegen. Entstehungsgeschichte und Zweck des § 62 EStG stellten auf die fortbestehende oder gelöste Verankerung des entsandten Arbeitnehmers im Sozialsystem des Heimatlandes ab. Diese Voraussetzung könne jeweils leicht durch einen Sozialversicherungsnachweis geklärt werden. Das erleichtere die Prüfung im Kindergeldverfahren.
Die abweichende Rechtsprechung des BSG zum Bundeskindergeldgesetz sei nicht mehr fortzuführen; das ab 1996 geltende Kindergeldrecht verfolge andere Zwecke als das Bundeskindergeldgesetz.
Hinweis
Nach § 62 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 EStG hat ein ausländischer Arbeitnehmer, der zur vorübergehenden Dienstleistung in das Inland entsandt ist, keinen Anspruch auf Kindergeld. Das EStG enthält keine Definition des Tatbestandmerkmals der "Entsendung" zur vorübergehenden Dienstleistung ins Inland.
Die zur Auslegung dieses Begriffs erforderlichen Hinweise ergeben sich aber aus dem Sozialversicherungsrecht (§§ 1-5 SGB IV). Danach ist davon auszugehen, dass für Personen, die außerhalb des Geltungsbereichs des SGB IV beschäftigt sind und die vorübergehend in diesen Geltungsbereich entsandt sind, das für sie bisher zuständige System der sozialen Sicherheit weiterhin verantwortlich bleibt (vgl. BT-Drucks. 7/4122, Seite 31). Davon ausgehend sollte der Kindergeldanspruch grundsätzlich auf Ausländer begrenzt sein, von denen zu erwarten sei, dass sie auf Dauer in Deutschland bleiben würden, es sei denn, dass sie in vollem Umfang der deutschen Sozialversicherung unterliegen (BT-Drucks. 12/5502, Seite 44).
Vor allem dieser Hinweis in den Gesetzesmaterialien spricht dafür, dass der Gesetzgeber den Begriff der Entsendung im Sinn des geltenden Sozialrechts verstanden hat. Das bedeutet einerseits, dass derjenige ausländische Arbeitnehmer, der wegen der fortbestehenden Verankerung im Sozialrecht seines Heimatlandes nicht der deutschen Sozialversicherungspflicht unterliegt, auch keinen Anspruch auf Kindergeld erlangen soll. Das bedeutet aber andererseits auch, dass ein inländischer Arbeitnehmer, der weiterhin der deutschen Sozialversicherungspflicht unterliegt, bei einer Entsendung ins Ausland seinen Kindergeldanspruch behält.
Die Besonderheit des Streitfalls liegt darin, dass der Arbeitnehmer von der ausländischen Konzerngesellschaft an seine in Deutschland tätige Tochtergesellschaft entsandt wurde. Für diesen Fall hat bereits das BSG entschieden, dass eine Entsendung aus dem Ausland im Sinn des § 5 Abs. 1 SGB IV dann nicht vorliege, wenn ein ausländischer Arbeitnehmer im Rahmen eines Konzerns für eine inländische Tochtergesellschaft tätig werde, sofern diese eine juristische Person sei, der Arbeitnehmer in den Betrieb dieser Gesellschaft eingegliedert sei und diese auch das Arbeitsentgelt zahlte. Nach diesen Grundsätzen war auch der Streitfall zu beurteilen.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 30.10.2002, VIII R 67/99