Leitsatz
Aufwendungen eines Steuerpflichtigen mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung für den Erwerb eines neuen Berufs sind vorweggenommene Betriebsausgaben oder Werbungskosten, wenn sie in einem hinreichend konkreten Zusammenhang mit erwarteten späteren Einnahmen aus dem neuen Beruf stehen und die Ausbildung für den neuen Beruf der Überwindung oder Vermeidung von Arbeitslosigkeit dient (Anschluss an BFH, Urteil vom 4.12.2002, VI R 120/01, BFH-PR 2003, 97).
Normenkette
§ 4 Abs. 4 EStG , § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG , § 12 Nr. 1 EStG
Sachverhalt
Die Klägerin, eine Bilanzbuchhalterin mit einem Jahresarbeitslohn von zuletzt ca. 145.000 DM, begann im Mai 1995 zunächst neben ihrer Berufstätigkeit eine Ausbildung zur Heilpraktikerin. Nachdem sie im Jahr 1996 arbeitslos geworden war, bestand die Klägerin Anfang 1998 die Heilpraktikerprüfung und eröffnete anschließend in Räumen ihres Einfamilienhauses eine Praxis für Naturheilverfahren. Die ihr in den Jahren 1995 und 1996 entstandenen Kosten für die Ausbildung zur Heilpraktikerin machte die Klägerin als vorweggenommene Betriebsausgaben bei den Einkünften aus selbstständiger Arbeit geltend.
Das FA behandelte die Kosten als Sonderausgaben und erkannte nur die Höchstbeträge nach § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG an.
Entscheidung
Sowohl FG als auch BFH teilten die Auffassung der Klägerin, dass ein hinreichend enger Zusammenhang zwischen der Ausbildung und der späteren selbstständigen Tätigkeit bestehe, um vorweggenommene Betriebsausgaben annehmen zu können. § 12 Nr. 1 EStG stehe der Anerkennung nicht entgegen, denn nachweislich habe die Klägerin im Hinblick auf die sich abzeichnende Arbeitslosigkeit erfolglos nach einer neuen Beschäftigung in ihrem Beruf als Bilanzbuchhalterin gesucht und sich erst dann zu einem Berufswechsel entschlossen. Dass sie eine Neigung zu dem neuen Beruf habe, sei nicht hinderlich, sondern erhöhe die Erfolgsaussichten für die Überwindung der Erwerbslosigkeit.
Hinweis
1. Mit dem Urteil vom 4.12.2002 (VI R 120/01, BFH-PR 2003, 97) hat der für Arbeitnehmerfragen zuständige VI. Senat des BFH eine Änderung der Rechtsprechung zur Behandlung von Ausbildungskosten für einen zweiten Beruf (Umschulungskosten) vorgenommen. Seit Jahrzehnten hatten Rechtsprechung und Verwaltung Ausbildungskosten ausschließlich im Rahmen des Sonderausgabenabzugs anerkannt, der nur im Rahmen geringer Höchstbeträge nach § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG möglich ist. Grundlage dafür war die Vorstellung, dass die Berufsausbildung Bestandteil der privaten Lebensführung sei und deshalb nicht zu Betriebsausgaben oder Werbungskosten führen könne.
Erste Aufweichungen dieser harten Linie zeigten sich in den neunziger Jahren, in denen Kosten für ein spezialisierendes Zweitstudium als Betriebsausgaben/Werbungskosten anerkannt wurden. In einem zweiten Schritt erkannte der BFH Kosten für ein berufsbegleitendes (Erst-)Studium eines zuvor nicht akademisch ausgebildeten Berufstätigen als Fortbildungskosten an (BFH, Urteil vom 17.12.2002, VI R 137/01, BFH-PR 2003, 98). Die jetzige Erweiterung auf Umschulungskosten ist der dritte Schritt in diese Richtung.
Alle drei Fallgruppen betreffen aber jeweils Zweitausbildungen. Ungeklärt ist noch, ob auch für Erstausbildungskosten eine erweiterte Abziehbarkeit in Betracht kommt. Bei Beantwortung dieser Frage wird zu beachten sein, dass häufig eine Konkurrenz mit den Abzugsmöglichkeiten im Rahmen des Familienleistungsausgleichs bestehen wird.
2. Das Besprechungsurteil zeigt, dass auch andere Senate des BFH, hier der IV. Senat, bereit sind, die Rechtsprechungsänderung des VI. Senats zu Umschulungskosten zu unterstützen. Beachten Sie aber die aus dem Leitsatz ersichtliche Einschränkung, wonach der Abzug solcher Kosten als vorweggenommene Betriebsausgabe zunächst nur anerkannt wird, wenn die neue Ausbildung der Vermeidung oder Überwindung von Arbeitslosigkeit dient.
Im erwähnten Urteil des VI. Senats vom 4.12.2002 war die Klägerin arbeitslos gewesen, als sie die Ausbildung begann. Hier hatte die Klägerin in Erwartung einer bevorstehenden Entlassung nachweislich ohne Erfolg nach neuen Arbeitsstellen gesucht. Wird ein neuer Beruf ohne erkennbaren Zusammenhang mit der bisherigen Berufstätigkeit erlernt, spricht manches dafür, von einer Veranlassung durch die private Lebensführung gem. § 12 Nr. 1 EStG auszugehen und einen Abzug der Kosten zu versagen.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 13.2.2003, IV R 44/01