Leitsatz
Der niederländische Unterhaltszuschuss nach der "REGELING TEGEMOETKOMING ONDERHOUDSKOSTEN THUISWONENDE GEHANDICAPTE KINDEREN" vom 20.12.1999 (TOG 2000) ist eine Familienleistung i.S.d. Art. 1 Buchst. u, i i.V.m. Art. 4 Abs. 1 Buchst. h VO Nr. 1408/71. Er mindert nach der gemeinschaftsrechtlichen Kollisionsregel des Art. 10 Abs. 1 Buchst. b, i VO Nr. 574/72 den Anspruch auf das deutsche Kindergeld nach § 62 EStG.
Normenkette
§ 1 Abs. 3, § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG, Art. 1 Buchst. u, i, Art. 4 Abs. 1 Buchst. h, Art. 5, Art. 13 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. a, Art. 73, Art. 97 VO Nr. 1408/71, Art. 10 Abs. 1 Buchst. b, i VO 574/72
Sachverhalt
Der Kläger war Arbeitnehmer in Deutschland und hier nach § 1 Abs. 3 EStG unbeschränkt steuerpflichtig. Seine Ehefrau arbeitete in den Niederlanden, wo sich auch der Familienwohnsitz befand. Für die behinderte Tochter erhielt die Ehefrau zusätzlich zum niederländischen Kindergeld einen Unterhaltszuschuss nach dem TOG 2000. Die Familienkasse gewährte dem Kläger für die Tochter Kindergeld unter Anrechnung des Unterhaltszuschusses.
Das FG lehnte die Anrechnung mit der Begründung ab, die Niederlande hätten insoweit keine notifizierte Erklärung abgegeben (FG Köln, Urteil vom 13.04.2005, 4 K 3997/04, Haufe-Index 1382389, EFG 2005, 1272).
Entscheidung
Der BFH hob das FG-Urteil auf und wies die Klage ab. Er beurteilt den Zuschuss nach dem TOG 2000 als eine den deutschen Kindergeldanspruch mindernde Familienleistung. Das Fehlen einer notifizierten Erklärung ist unerheblich.
Hinweis
1. Für Personen, die in einem EU-Mitgliedstaat wohnen und in einem anderen Mitgliedstaat arbeiten, richten sich die sozialrechtlichen Ansprüche nach dem Gemeinschaftsrecht. Danach gilt grundsätzlich das Beschäftigungslandprinzip. Die Familienleistungen, zu denen das Kindergeld gehört, regeln sich daher nach dem Recht des Beschäftigungsstaats.
2. Inwieweit Leistungen eines Mitgliedstaats, in dem der Anspruchsberechtigte und seine Familie wohnen, auf das deutsche Kindergeld angerechnet werden, richtet sich nach den gemeinschaftsrechtlichen Kollisionsregelungen. Die deutsche Anrechnungsvorschrift (§ 65 Abs. 2 EStG) wird verdrängt.
Besteht ein Anspruch im Wohnstaat und im Beschäftigungsstaat, ruht der Anspruch im Wohnstaat bis zur Höhe der im Beschäftigungsstaat geschuldeten Leistungen (Art. 10 Abs. 1 Buchst. a VO 574/72).
Übt jedoch die Person, die im Wohnstaat einen Anspruch hat, dort eine Berufstätigkeit aus, ruht der Anspruch im Beschäftigungsstaat bis zur Höhe der im Wohnstaat geschuldeten Leistungen (Art. 10 Abs. 1 Buchst. b, i VO Nr. 574/72).
3. Der Unterhaltszuschuss, der Eltern eines behinderten Kindes nach dem niederländischen TOG 2000 zusätzlich zum Kindergeld gewährt wird, ist eine Familienleistung, die nach den Kollisionsregelungen den deutschen Kindergeldanspruch mindert.
Es handelt sich nicht um eine Sozialhilfeleistung, da der Zuschuss nicht aufgrund einer auf die persönliche Bedürftigkeit abgestellten Ermessensentscheidung gewährt wird, sondern unabhängig von der Bedürftigkeit der Eltern nach rechtlich festgelegten Voraussetzungen gezahlt wird, um den erhöhten Unterhaltsbedarf der Eltern behinderter Kinder auszugleichen.
Der Anrechnung steht nicht entgegen, dass für das TOG 2000 keine notifizierte Erklärung vorliegt, dass die Leistungen unter Art. 4 Abs. 1 VO Nr. 1408/71 fallen. Denn wenn eine solche Erklärung fehlt, ist nach dem Zweck der Leistungen zu entscheiden, ob sie unter die VO Nr. 1408/71 fallen. Der BFH bejaht dies im Hinblick auf die erhöhten Unterhaltslasten von Eltern mit behinderten Kindern.
4. Ergänzend bleibt darauf hinzuweisen, dass die EU-Kollisionsregelungen nach dem entsprechenden Abkommen auch im Verhältnis zur Schweiz gelten. Im Übrigen bestehen mit zahlreichen Staaten Sozialabkommen, die den nationalen Regelungen vorgehen.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 17.04.2008, III R 36/05