Entscheidungsstichwort (Thema)
Neue Tatsache nach Schätzungsbescheid
Leitsatz (redaktionell)
- Zur Frage, wann Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen.
- Bei einem Schätzungsbescheid stellen nur die Schätzungsgrundlagen Tatsachen dar. Durch die Feststellung neuer Schätzungsgrundlagen werden damit Tatsachen nachträglich bekannt.
- Es müssen indessen Schätzungsgrundlagen bekannt werden, die das FA bei rechtzeitiger Kenntnis veranlasst hätten, die Schätzung nicht oder nicht in dieser Weise vorzunehmen.
- § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO dient nicht zur Korrektur von Schätzungsfehlern.
Normenkette
AO § 173 Abs. 1 Nr. 1, § 162
Nachgehend
Tatbestand
Streitig sind im Wesentlichen die Rechtmäßigkeit der Änderung eines auf geschätzten Besteuerungsgrundlagen beruhenden Feststellungsbescheides sowie die steuerrechtliche Beurteilung eines so genannten „Abschreibungsdarlehens”.
Die Klägerin betrieb im Zeitraum 1. Mai 2004 bis 31. Januar 2008 die Gaststätte „X” in … und erzielte hieraus gewerbliche Einkünfte (§ 15 Einkommensteuergesetz – EStG ). Ihren Gewinn ermittelte sie durch Einnahmen Überschuss Rechnung gemäß § 4 Abs. 3 EStG.
Mit (privatschriftlichem) Bierbezugsvertrag aus Juni 2006 verpflichtete sich die Klägerin als Betreiberin der Gaststätte gegenüber der Brauerei (B), in der Zeit vom 1. Juni 2006 bis zum 31. Mai 2016 in ihrer Gaststätte ausschließlich das Bier „Y” zu beziehen und fortlaufend vom Fass sowie näher bezeichnete Biere und Biermischgetränke zum Ausschank zu bringen. Die B verpflichtete sich ihrerseits, der Klägerin für ihre Gaststätte zum Einen ein „Darlehen” über 7.536,55 € sowie zum Anderen ein „Abschreibungsdarlehen” in Höhe von 31.000 € zuzüglich 16 v. H. Umsatzsteuer, insgesamt 35.960 €, zu gewähren (§ 1 des Vertrages). Das „Darlehen” war in monatlichen Raten – beginnend frühestens ab Januar 2007 – in Höhe von 215 € zu tilgen und vom Auszahlungstage an mit 4 v. H. p. a. zu verzinsen. Im Hinblick auf das „Abschreibungsdarlehen” verpflichtete sich B, der Klägerin bis zur vollständigen Tilgung – höchstens jedoch bis zum Ablauf der Bezugsverpflichtung – für jeden bezogenen Hektoliter an Fass und Flaschenbieren aus dem anrechenbaren Sortiment nachträglich 21 € zu vergüten und dem Abschreibungsdarlehenskonto gutzuschreiben. Als Gesamtbetrag der Tilgung für das „Abschreibungsdarlehen” waren 31.000 € angegeben. Für den Fall, dass das „Abschreibungsdarlehen” nicht bis zum Ablauf der Bezugsverpflichtung vollständig getilgt sein sollte, war die Klägerin zur sofortigen Rückzahlung der ausstehenden Valuta zuzüglich der auf sie entfallenden Umsatzsteuer verpflichtet (§ 2 des Vertrages).
Hinsichtlich der umsatzsteuerlichen Behandlung des „Abschreibungsdarlehens” hatte die Klägerin im Oktober 2006 unter Vorlage des Vertrags eine verbindliche Auskunft beantragt. Mit Bescheid vom 20. November 2006 lehnte das FA (das Finanzamt – FA -) die Erteilung der Auskunft zwar ab, teilte aber mit, bei dem „Abschreibungsdarlehen” handele es sich um eine vorgezogene Umsatzrückvergütung, die bereits im Zeitpunkt der Zahlung der Umsatzsteuer unterliege.
Das FA erließ gegenüber der Klägerin wegen der Nichtabgabe einer Feststellungserklärung für den streitigen Feststellungszeitraum 2006 unter dem 10. Dezember 2007 einen Bescheid über die gesonderte Feststellung des Gewinns, in dem dieser mit 10.000 € geschätzt wurde. Der Bescheid stand nicht unter dem Vorbehalt der Nachprüfung.
Im Rahmen des gegen den Schätzungsbescheid geführten Einspruchsverfahrens reichte die Klägerin die Feststellungserklärung für 2006 samt Anlage EÜR ein, die gewerbliche Einkünfte mit ./. 1.469,71 € auswies. Das FA erließ daraufhin mit Datum vom 9. August 2010 einen gem. § 172 Abs. 1 Nr. 2 Abgabenordnung (AO) geänderten Feststellungsbescheid. Es erhöhte dabei die Betriebseinnahmen um 31.000 €, nahm unstreitige Korrekturen bei den Betriebseinnahmen (vom FA erstattete und ggfs. verrechnete Umsatzsteuer) sowie den Betriebsausgaben (gezahlte Vorsteuerbeträge, an das FA gezahlte und ggf. verrechnete Umsatzsteuer) vor und stellte nunmehr die Einkünfte der Klägerin aus Gewerbebetrieb mit 26.143 € gesondert fest. Zur Begründung verwies es im Wesentlichen darauf, dass das von der B gezahlte „Abschreibungsdarlehen” eine vorgezogene Umsatzrückvergütung darstelle und somit im Zeitpunkt des Zuflusses im Kalenderjahr 2006 zu einer ertragsteuerlichen Einnahme gemäß § 11 Abs. 1 EStG geführt habe. Mit Einspruchsbescheid vom 22. Dezember 2010 wurde der Einspruch schließlich als unbegründet zurückgewiesen. Das FA wies insbesondere darauf hin, dass ein Hinweis auf Verböserung im Einspruchsverfahren nicht ergehen müsse, weil die Voraussetzungen für eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO vorlägen.
Hiergegen wandte sich die Klägerin mit ihrer unter dem 13. Januar 2011 erhobenen Klage, die unter dem Az. 12 K 17/11 geführt wurde. Sie führte zur Begründung aus, das FA sei nicht berechtigt gewesen, im lauf...