Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorläufige Steuerfestsetzung – Beginn der Jahresfrist des § 171 Abs. 8 Satz 1 AO
Leitsatz (redaktionell)
- Zum Begriff der Liebhaberei.
- Wurde die Steuer vorläufig festgesetzt, so endet die Festsetzungsfrist nicht vor Ablauf eines Jahres, nachdem die Ungewissheit beseitigt ist und die Finanzbehörde hiervon Kenntnis erhalten hat.
- Die Ungewissheit ist beseitigt, wenn das FA davon positive Kenntnis hatte und die Tatbestandsmerkmale für die endgültige Steuerfestsetzung feststellen kann.
- Hinsichtlich der Einkünfteerzielungsabsicht ist eine Ungewissheit i. S. des § 165 AO nur gegeben, wenn die maßgeblichen Hilfstatsachen nicht mit der gebotenen Sicherheit festgestellt werden können. Die Ungewissheit besteht nicht mehr, wenn die maßgeblichen (Hilfs-)Tatsachen entstanden sind und dies dem FA bekannt ist.
Normenkette
AO §§ 165, 171 Abs. 8 S. 1
Streitjahr(e)
1993, 1994, 1995, 1996, 1997
Nachgehend
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Verluste aus einem Briefmarkenhandel steuerlich berücksichtigt werden können oder ob eine steuerlich nicht beachtliche Liebhaberei vorliegt.
Die Klägerin sowie der am 15. Juli 2005 verstorbene Ehemann erzielten in den Streitjahren als Angestellte Einkünfte aus nichtselbstständiger Tätigkeit.
Die Klägerin betrieb ferner von 1988 bis 1992 einen Groß- und Einzelhandel mit Briefmarken, ab 1993 lediglich in Form des Einzelhandels. Der Ehemann der Klägerin arbeitete in dem Unternehmen mit und verfügte über die relevanten Fachkenntnisse. Zum 31.12.2005 stellte die Klägerin den Betrieb ein, nachdem im laufenden Jahr 2005 ihr Ehemann verstorben war. Von 1988 bis einschließlich 2005 erwirtschaftete die Klägerin aus dem Briefmarkenhandel einen Gesamtverlust von 102.559 DM, von dem Gesamtbetrag entfiel für den Zeitraum ab 1993 (nur noch Einzelhandel) ein Verlust von 63.090 DM, der sich wie folgt auf die einzelnen Jahre verteilte:
1988 |
- 15.227 DM |
1989 |
- 8.710 DM |
1990 |
- 7.273 DM |
1991 |
- 17.030 DM |
1992 |
+ 8.771 DM |
1993 |
- 9.605 DM |
1994 |
- 4.643 DM |
1995 |
- 3.978 DM |
1996 |
- 6.078 DM |
1997 |
- 17.116 DM |
1998 |
- 7.172 DM |
1999 |
- 1.913 DM |
2000 |
+ 4.398 DM |
2001 |
+ 775 DM |
2002 |
- 1.038 Euro (= 2.030 DM) |
2003 |
- 4.220 Euro (= 8.254 DM) |
2004 |
- 1.435 Euro (= 2.807 DM) |
2005 |
- 2.386 Euro (= 4.667 DM) |
Nach der Aufgabe der Tätigkeit zeigte die Klägerin die Betriebseinstellung auf einem Fragebogen des Beklagten, der am 15. Mai 2006 im Finanzamt einging, an. Sie erklärte, das restliche Vermögen (mit Ausnahme der in das Privatvermögen überführten Wirtschaftsgüter- Computer, Grundstücksanteil) sei für 5.440 Euro veräußert worden.
Der Beklagte erkannte die geltend gemachten Verluste bis zur Einstellung des Großhandels, d.h. bis einschließlich 1992 an. Für die Jahre 1993 bis 1995 führte der Beklagte im Jahr 1997 bei der Klägerin eine steuerliche Außenprüfung durch. Da es im Rahmen der Prüfung nicht gelang, den Warenbestand zu ermitteln und zu bewerten, berücksichtigte der Beklagte die erklärten Verluste von 1993 bis 1997, erließ die Bescheide jedoch auch nach der Außenprüfung vorläufig in Bezug auf die Gewinnerzielungsabsicht aus dem Briefmarkenhandel. Der Klägerin wurde jedoch im Prüfungsbericht sowie anlässlich der Veranlagungen der Folgejahre mehrfach aufgegeben, den Warenbestand auf den 31.12.1997 zu bestimmen.
Im Rahmen der Veranlagung für 1998 gab die Klägerin erstmals im Februar 1999 an, der Wert der vorhandenen Briefmarken belaufe sich auf rund 56.000 DM zum 31.12.1997 und auf rund 61.000 DM zum 31.12.1998. Sie erläuterte, bei dem Wertansatz handele es sich um 60 % des Katalogpreises, so dass tatsächlich ein realistischer Veräußerungspreis von rund 93.000 DM angesetzt werden könne. Der Beklagte beließ die Einkommensteuerbescheide auch nach den Angaben der Klägerin zum Warenbestand weiterhin vorläufig, da er die vorgelegten Unterlagen nicht für ausreichend erachtete, insbesondere da keine Einzelbewertungen vorlagen.
Für den Veranlagungszeitraum 2005 gab die Klägerin die Einkommensteuererklärung einschließlich der Gewinnermittlung für den Briefmarkenhandel am 29.6.2007 im Finanzamt ab. Im Rahmen der Veranlagung für 2005 nahm der Beklagte eine abschließende Prüfung der Gewinnerzielungsabsicht vor. Er vertrat die Auffassung, nach der Umstrukturierung des Unternehmens ab 1993 liege eine steuerlich nicht beachtliche Liebhaberei vor, da die im Veranlagungsverfahren für 1998 behaupteten stillen Reserven tatsächlich nicht vorhanden gewesen seien. Die Verluste könnten daher nicht berücksichtigt werden. Dementsprechend erließ er nach § 165 Abs. 2 AO geänderte Einkommensteuerbescheide für 1993 bis 1997 und legte die Einkünfte der Klägerin aus Gewerbebetrieb mit 0 DM zugrunde.
Hiergegen legte die Klägerin jeweils Einspruch ein. Sie trug vor, die Frage einer Liebhaberei sei für die Jahre 1993 bis 1995 bereits Gegenstand der Außenprüfung gewesen. Die im Anschluss an die Außenprüfung gestellten Auflagen, d.h. die Ermittlung des Warenbestandes, habe ...