Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückwirkende Aufhebung der Kindergeldfestsetzung bei fehlerhafter Prognose der Einkünfte und Bezüge des Kindes
Leitsatz (redaktionell)
- Die Familienkassen sind berechtigt, Kindergeldfestsetzungen rückwirkend aufzuheben, wenn sich die Prognose der Einkünfte und Bezüge des Kindes als falsch herausstellt.
- Eine rückwirkende Aufhebung ist unzulässig, wenn schon aufgrund des zum Zeitpunkt der Kindergeldfestsetzung der Familienkasse bekannten Sachverhalts eine Überschreitung des (anteiligen) Jahresgrenzbetrages zu prognostizieren war.
- § 164 Abs. 1 Satz 1 AO ist auch auf Kindergeldfestsetzungen anwendbar.
Normenkette
EStG § 32 Abs. 4 S. 2; AO §§ 88, 164 Abs. 1 S. 1, § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2
Nachgehend
Tatbestand
Streitig ist, ob die Klägerin verpflichtet ist, das für ihren am 17.01.1981 geborenen Sohn Tomas von Februar bis Dezember 1999 bezogene Kindergeld zurückzuzahlen.
Der Sohn befand sich vom 01.08.1997 – bis zum 31.07.2000 – in der Berufsausbildung zum .... Der öffentliche Arbeitgeber bescheinigte im November 1998 jährlich am 01.08. steigende monatliche Ausbildungsvergütungen bis 1999 und zusätzliche Leistungen, letztere aber nur bis 1998, nämlich Sonderzuwendungen 11/97 und 11/98 sowie Urlaubsgeld 7/98.
Der Beklagte ordnete mit Verfügung vom 07.12.1998 die Weiterzahlung des Kindergelds an die Klägerin ab Februar 1999 für den dann volljährigen Sohn an. Die nachträgliche Überprüfung der Einkünfte und Bezüge des Sohnes ergab, dass der Sohn ab 01.01.1999 höhere monatliche Vergütungen als zunächst bescheinigt und auch 1999 Urlaubsgeld und Sonderzuwendung erhalten hatte. Da seine Einkünfte 1999 – unstreitig – den nach § 32 Abs. 4 Einkommensteuergesetz (EStG) unschädlichen Betrag überschreiten, erließ der Beklagte den angefochtenen Bescheid über die Aufhebung der Festsetzung von Kindergeld und die Rückforderung überzahlter Beträge vom 23.03.2000.
Hiergegen richtet sich nach erfolglosem Vorverfahren die Klage.
Der Antrag auf Kindergeld für das Jahr 2000 ist mit gesondertem Bescheid, der nicht Gegenstand des Verfahrens ist, abgelehnt worden.
Die Klägerin meint, die Bewilligung des Kindergelds beruhe auf einem Fehler des Arbeitsamts, den sie nicht zu vertreten habe und den sie auch nicht habe erkennen können. Sie habe den Aufforderungen des Arbeitsamts Folge geleistet und alle erforderlichen Nachweise vorgelegt. Ihr Vertrauen in die Rechtmäßigkeit der Kindergeldfestsetzung müsse geschützt werden. Es sei Entreicherung (§ 818 Abs. 3 Bürgerliches Gesetzbuch – BGB) eingetreten.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 23.03.2000 in der Form der Einspruchsentscheidung vom 06.06.2000 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er ist der Auffassung, die Kindergeldfestsetzung habe gemäß § 175 Abs. 1 Nr. 2 Abgabenordnung (AO) wegen Eintritts eines Ereignisses, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit habe (rückwirkendes Ereignis), rückwirkend aufgehoben und der überzahlte Betrag zurückgefordert werden können. Die Prognoseentscheidung bezüglich der Einkünfte und Bezüge des Sohnes vom Dezember 1998 habe sich nachträglich als falsch herausgestellt. Selbst bei erkennbar falscher Prognose müsse die Korrektur der Kindergeldfestsetzung möglich sein.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet.
Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.
Der Klägerin steht zwar materiell das Kindergeld ab Februar 1999 nicht mehr zu, weil die Einkünfte und Bezüge des volljährig gewordenen Sohnes unstreitig den anteiligen Jahresgrenzbetrag des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG überschreiten. Der Beklagte ist aber nicht befugt, die Kindergeldfestsetzung rückwirkend aufzuheben. Es fehlt hierfür an einer Rechtsgrundlage. Verbleibt es demnach bei der ursprünglichen Kindergeldfestsetzung, stellt sie den rechtlichen Grund für die Kindergeldzahlungen dar. Eine Rückforderung nach § 37 Abs. 2 Abgabenordnung (AO) scheidet aus.
1. Die Familienkassen sind allerdings grundsätzlich berechtigt, Kindergeldfestsetzungen rückwirkend aufzuheben, wenn sich die Prognose der Einkünfte und Bezüge als falsch herausstellt. Dies ergibt sich daraus, dass § 31 Satz 3 und § 71 EStG einerseits vorsehen, dass das Kindergeld laufend (monatlich) zu zahlen ist und § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG andererseits bestimmt, dass ein Kind, das das 18., aber noch nicht das 27. Lebensjahr vollendet hat, nur dann berücksichtigt wird, wenn die Einkünfte und Bezüge einen bestimmten Betrag pro Kalenderjahr (Jahresgrenzbetrag) nicht überschreiten. Ob der Jahresgrenzbetrag überschritten wird, entscheidet sich erst im Laufe des Kalenderjahres. Insoweit besteht ein grundlegender Unterschied zu feststehenden Tatbestandsmerkmalen wie etwa der Haushaltszugehörigkeit eines Kindes oder der Absolvierung einer Ausbildung. Über das Vorliegen oder Nichtvorliegen solcher feststehender Tatbestandsmerkmale kann die Behörde jederzeit befinden und somit die Leistung des Kindergeldes stets zeitnah ...