Leitsatz
Die Entscheidung darüber, ob die Änderung eines Gewinnfeststellungsbescheids auf einem rückwirkenden Ereignis i.S.v. § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO und damit zugleich auch auf einem rückwirkenden Ereignis i.S.v. § 233a Abs. 2a AO beruht, ist im Feststellungsverfahren zu treffen.
Normenkette
§ 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, § 179 Abs. 3, § 233a Abs. 2a, § 239 AO, § 16 EStG, § 48 FGO
Sachverhalt
Zwei atypisch stille Gesellschafter hatten ihre Beteiligung an einer GmbH 1991 beendet. Ihre Auseinandersetzungsansprüche waren auf der Grundlage einer Bewertung des Vermögens der GmbH ermittelt worden. Zu dem Vermögen gehörte ein zum Verkauf stehendes Grundstück, für das ein Verkaufsangebot über 2,2 Mio. DM vorlag. Die sich daraus ergebenden Veräußerungsgewinne der Gesellschafter von ca. 1,6 Mio. DM wurden gesondert und einheitlich festgestellt.
Etwa 10 Jahre später war das Grundstück noch immer nicht verkauft. Es stellte sich erst dann heraus, dass der Boden erheblich kontaminiert war, sodass die Gesellschafter nur noch von einem Verkehrswert von 80 000 EUR ausgingen. Auf der Basis dieses Werts verzichteten die Gesellschafter nun auf einen großen Teil der Auseinandersetzungsansprüche. Statt des Veräußerungsgewinns ergab sich ein Veräußerungsverlust. Den Gewinnfeststellungsbescheid änderte das FA daraufhin bestandskräftig wegen eines rückwirkenden Ereignisses i.S.d. § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO.
Nachdem die Gesellschafter wegen der Zinsfestsetzung zur ESt Klage erhoben hatten, erließ das FA einen Ergänzungsbescheid zum geänderten Gewinnfeststellungsbescheid gem. § 179 Abs. 3 AO, mit dem festgestellt wurde, "die Änderungen im Feststellungsbescheid vom 10.04.2003 (seien) ausschließlich wegen eines im Jahr 2002 eingetretenen Ereignisses" erfolgt.
Der dagegen erhobenen Klage gab das FG statt (Niedersächsisches FG, Urteil vom 25.04.2007, 2 K 24/05, Haufe-Index 2079136, EFG 2008, 1929), weil es die Voraussetzungen für den Erlass eines Ergänzungsbescheids als nicht erfüllt ansah.
Entscheidung
Der BFH war anderer Ansicht, hob das FG-Urteil auf und wies die Klage ab.
Hinweis
1. Das Urteil betrifft eine verfahrensrechtliche Komponente der Änderung von Bescheiden wegen eines rückwirkenden Ereignisses. Nach § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO ist ein Steuerbescheid wegen eines rückwirkenden Ereignisses zu ändern. Ein solches Ereignis liegt vor, wenn eine für die Besteuerung bedeutsame Tatsache erst nach Erlass des Steuerbescheids eintritt.
Ob die Tatsache auf den Besteuerungszeitraum zurückwirkt, entscheidet sich nach materiellem Recht. Ein solcher Fall liegt nach der Rechtsprechung des BFH z.B. vor, wenn sich ein Veräußerungs- oder Aufgabegewinn nachträglich ändert, beispielweise weil der Erwerber den Kaufpreis nicht (vollständig) zahlt. Im Besprechungsfall mussten die ausgeschiedenen Gesellschafter erkennen, dass ihre Auseinandersetzungsguthaben viel kleiner waren, als seinerzeit gedacht, weil die damals im Grundstück vermuteten stillen Reserven infolge einer noch nicht bekannten Kontaminierung des Grundstücks in Wahrheit nicht existierten. Deshalb musste die Auseinandersetzungsvereinbarung geändert werden. In dieser Änderung lag das rückwirkende Ereignis, weil sich der "Veräußerungspreis" dadurch reduzierte.
Die Kontaminierung des Grundstücks selbst war keine für die Besteuerung bedeutsame Tatsache. Andernfalls hätte die Tatsache bereits im Besteuerungszeitraum vorgelegen, wäre aber erst später bekannt geworden. Dies hätte zu einer Änderung nach § 173 AO führen müssen.
2. Nun war der Gewinnfeststellungsbescheid aber bereits wegen des rückwirkenden Ereignisses bestandskräftig geändert worden. Streit bestand nur noch darüber, ab wann eine Verzinsung für die Erstattungsansprüche der Gesellschafter vorzunehmen war. Diesen Streit wollte das FA dadurch entscheiden, dass es den Eintritt des Ereignisses dem Grund und dem Zeitpunkt nach in einem Ergänzungsbescheid zum Gewinnfeststellungsbescheid feststellte.
Damit handelte das FA nach Meinung des BFH richtig. Denn weil es für den Zinslauf auf diese Feststellung ankommt, ist die Feststellung eine "andere" Besteuerungsgrundlage i.S.d. § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO; sie ist also gesondert und einheitlich festzustellen. Ähnlich hatte der BFH bereits früher zu der Feststellung entschieden, durch welche Handlung ein Hinterziehungszinsanspruch ausgelöst worden ist (§ 235 AO).
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 19.03.2009 – IV R 20/08