OFD Magdeburg, Verfügung v. 15.11.2005, S 0123 - 12 - St 251
1. Grundsatz
Gem. § 21 Abs. 1 Satz 1 AO ist für die Umsatzsteuer (mit Ausnahme der Einfuhrumsatzsteuer) das FA örtlich zuständig, von dessen Bezirk aus der Unternehmer sein Unternehmen im Geltungsbereich des Gesetzes ganz oder vorwiegend betreibt.
Der Ort, von dem aus der Unternehmer sein Unternehmen (ganz oder vorwiegend) betreibt, ist im Regelfall der Ort der Geschäftsleitung, selbst wenn der Unternehmer dort keine Betriebsstätte (§ 12 AO) hat (vgl. BFH-Urteil vom 11.7.1960, V 182/58 U, BStBl 1960 III S. 376). Geschäftsleitung ist gem. § 10 AO der Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung. Dieser befindet sich dort, wo der Unternehmer bzw. die zur Vertretung des Unternehmens befugte Person (z.B. der Geschäftsführer einer GmbH) den für die Geschäftsführung maßgebenden Willen bildet und die für die Geschäftsführung nötigen Maßnahmen von einiger Wichtigkeit anordnet. Das ist regelmäßig der Ort, an dem die tatsächlichen, organisatorischen und rechtsgeschäftlichen Handlungen vorgenommen werden, die der gewöhnliche Betrieb des Unternehmens mit sich bringt (sog. Tagesgeschäfte; vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 15.7.1998, I B 134/97, BFH/NV 1999 S. 372, sowie BFH-Urteil vom 19.3.2002, I R 15/01, BFH/NV 2002 S. 1411; BFH-Urteil vom 3.7.1997, IV R 58/95, BStBl 1998 II S. 86; BFH-Urteil vom 23.1.1991, I R 22/90, BStBl 1991 II S. 554; BFH-Urteil vom 7.12.1994, I K 1/93, BStBl 1995 II S. 175; und BFH-Urteil vom 15.10.1997, I R 76/95, BFH/NV 1998 S. 434). Bei einer GmbH ist Ort der Geschäftsleitung im allgemeinen der Ort, wo sich das Büro ihres Geschäftsführers, notfalls dessen Wohnsitz, befindet. Letztlich bestimmt sich nach den im Einzelfall von dem Unternehmen tatsächlich ausgeübten Tätigkeiten, welche von ihnen der Geschäftsleitung zuzuordnen sind und auf welche bei der Bestimmung des Ortes bzw. der Orte der Geschäftsleitung abzustellen ist.
2. Mehrfache örtliche Zuständigkeit (§ 25 AO)
Da ein Unternehmer nicht zugleich an mehreren Orten sein Unternehmen ganz oder vorwiegend betreiben kann, ist es begrifflich ausgeschlossen, dass nach § 21 Abs. 1 Satz 1 AO mehrere Finanzämter nebeneinander für die Umsatzsteuer zuständig sein können. § 25 AO, der für den Fall, dass aufgrund anderweitiger Bestimmung mehrere Finanzbehörden örtlich zuständig sind, lediglich eine Kollisionsregel aufstellt, ist daher nicht anwendbar (vgl. BFH-Beschluss vom 22.12.1998, VII B 157/98, BFH/NV 1999 S. 747).
3. Ersatzzuständigkeit (§ 24 AO)
Lässt sich im Einzelfall kein Ort feststellen, an dem der Unternehmer sein Unternehmen ganz oder vorwiegend betreibt, so dass § 21 AO eine Zuständigkeitsbestimmung für diesen Unternehmer nicht entnommen werden kann, greift die Ersatzzuständigkeit nach § 24 AO ein. Danach ist die Finanzbehörde örtlich zuständig, in deren Bezirk der Anlass für die Amtshandlung hervortritt. Der Anlass für eine Amtshandlung tritt dort hervor, wo eine sachlich und funktionell zuständige Finanzbehörde zuerst erkennt, dass die Amtshandlung objektiv in Betracht kommt. Denkbar sind z.B. Fälle, in denen der Unternehmer seine unternehmerischen Entscheidungen an ständig wechselnden Orten – z.B. von einem ständig seinen Standort wechselnden Fahrzeug aus – trifft, weshalb ein Schwerpunkt der unternehmerischen Tätigkeit nicht feststellbar ist.
Hat sich die Zuständigkeit nach § 24 AO ergeben, so ist diese Ersatzzuständigkeit eine reguläre Zuständigkeit. Sie ändert sich erst dann, wenn die Voraussetzungen des § 26 Satz 1 AO eintreten, die örtliche Zuständigkeit also durch eine Veränderung der sie begründenden Umstände von einer Finanzbehörde auf eine andere Finanzbehörde übergeht.
§ 26 Satz 2 AO, wonach die bisher zuständige Finanzbehörde ein Verwaltungsverfahren fortführen kann, wenn dies unter Wahrung der Interessen der Beteiligten der einfachen und zweckmäßigen Durchführung des Verfahrens dient und die nunmehr zuständige Finanzbehörde zustimmt, gilt auch in den Fällen, in denen sich die bisherige Zuständigkeit aus § 24 AO ergeben hat.
4. Zuständigkeitsstreit (§ 28 AO)
Nehmen mehrere Finanzämter aufgrund unterschiedlicher Beurteilung der Sach- und Rechtslage nebeneinander für sich § 21 AO und damit eine Zuständigkeit für die Besteuerung des betreffenden Unternehmers in Anspruch, liegt also ein Zuständigkeitsstreit vor, trifft § 28 AO die für die Festlegung der zuständigen Finanzbehörde erforderlichen Regelungen. In einem solchen Fall entscheidet die gemeinsame fachlich zuständige Aufsichtsbehörde – also die Oberfinanzdirektion oder, wenn eine solche nicht besteht, das Finanzministerium – über die örtliche Zuständigkeit (§ 28 Abs. 1 Satz 1 AO). Fehlt eine gemeinsame Aufsichtsbehörde – wie z.B. bei einem Zuständigkeitsstreit zwischen Finanzämtern, die unterschiedlichen Bundesländern zugehören –, so treffen die fachlich zuständigen Aufsichtsbehörden die Entscheidung gemeinsam (§ 28 Abs. 1 Satz 2 AO i.V.m. § 25 Satz 2 AO).
5. Zuständigkeitsvereinbarung (§ 27 AO) und Gefahr im Verzug (§ 29 AO)
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