Entscheidungsstichwort (Thema)
Amtspflichtverletzung. Zum Verschulden des Finanzamtes bei der Festsetzung der Umsatzsteuer. Unionsrechtlicher Staatshaftungsanspruch
Leitsatz (amtlich)
1. Nicht jeder objektive Rechtsirrtum begründet einen Schuldvorwurf. Wenn die nach sorgfältiger Prüfung gewonnene Rechtsansicht des Amtsträgers als rechtlich vertretbar angesehen werden kann, dann kann aus der Missbilligung dieser Rechtsauffassung durch die Gerichte ein Schuldvorwurf nicht hergeleitet werden. Die Verneinung des Schuldvorwurfs setzt demnach voraus, dass die letztlich als unzutreffend erkannte Rechtsmeinung nicht nur vertretbar, sondern auch aufgrund sorgfältiger rechtlicher und tatsächlicher Prüfung gewonnen worden ist.
2. Eine unrichtige Gesetzesauslegung ist nur dann vorwerfbar, wenn sie gegen den klar bestimmten, unzweideutigen Wortlaut einer Vorschrift oder gegen eindeutige höchstrichterliche Rechtsprechung verstößt.
Normenkette
BGB § 839
Verfahrensgang
LG Hannover (Urteil vom 24.02.2014; Aktenzeichen 1 O 146/12) |
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das am 24.2.2014 verkündete Urteil des LG Hannover wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Das Urteil und das Urteil des LG sind vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 115 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 115 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Berufungswert: 173.284 EUR.
Gründe
I. Die Klägerin nimmt das beklagte Land (im Folgenden: Beklagte) auf Schadensersatz wegen Amtspflichtverletzung in Anspruch. Hintergrund ist ein Streit der Parteien um die Festsetzung der Umsatzsteuer für das Jahr 2001, die das Finanzamt S. mit Bescheid vom 25.8.2003 auf 118.484,22 EUR festgesetzt hat. Nach teilweiser Abänderung durch das angerufene FG (Ermäßigung der Umsatzsteuer auf noch 63.781,86 EUR, Anlage K 14) hat der BFH mit Urteil vom 10.11.2010 entschieden, dass die Umsatzsteuer auf 56.014,15 EUR festgesetzt wird (Anlage K 1). Die Kosten des gesamten Verfahrens hatte danach das Finanzamt zu tragen, die in Höhe der dort festgesetzten Kosten mit 8.575,11 EUR auch ausgeglichen worden sind.
Mit der Klage verlangt die Klägerin den Ersatz weiter gehender Schäden (Rechtsverfolgungskosten, Steuerberatungskosten, betriebliche Aufwendungen, Bürgschaftskosten sowie vorfinanzierte Umsatzsteuerzahlungen) i.H.v. insgesamt 173.284,50 EUR nebst Zinsen.
Sie ist der Auffassung, das Finanzamt habe schuldhaft seine Pflichten verletzt, weil es § 4 Nr. 3 Satz 1a, aa UStG nicht auf die Klägerin angewandt habe, wonach die streitigen Umsätze bei zutreffender Gesetzesanwendung von der Steuer befreit waren (so der BFH in dem von der Klägerin erstrittenen Urteil). Zum anderen liege eine schuldhafte Pflichtverletzung auch darin, dass das Finanzamt entgegen § 3a Abs. 1 Satz 2 UStG eine unzutreffende Bestimmung des Leistungsorts vorgenommen habe. Schließlich stehe der Klägerin auch ein unionsrechtlicher Staatshaftungsanspruch zu.
Das LG, auf dessen Urteil gem. § 540 ZPO wegen der weiteren Einzelheiten verwiesen wird, hat die Klage abgewiesen. Zwar liege eine objektive Amtspflichtverletzung durch die geschehene Steuerfestsetzung vor. Diese sei aber nicht schuldhaft erfolgt. Aus den gleichen Gründen scheide auch ein unionsrechtlicher Haftungsanspruch im Ergebnis aus.
Dagegen richtet sich die Berufung der Klägerin, mit der sie unter Wiederholung und Vertiefung ihres bereits erstinstanzlichen Vorbringens die Klageforderung in voller Höhe weiter verfolgt.
Die Klägerin beantragt, unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 173.284,50 EUR nebst Zinsen i.H.v. 103.821,65 EUR bis zum 17.8.2012 sowie weitere Zinsen i.H.v. 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18.8.2012 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil als richtig.
II. Die Berufung ist nicht begründet.
Die Entscheidung des LG ist nicht zu beanstanden. Das LG hat mit Recht festgestellt, dass weder die Voraussetzungen eines Anspruchs aus Amtspflichtverletzung nach § 839 BGB, Art. 34 GG, noch diejenigen eines unionsrechtlichen Haftungsanspruches vorliegend erfüllt sind. Das Vorbringen der Berufung rechtfertigt insoweit keine abweichende Beurteilung zugunsten der Klägerin.
1. Ansprüche nach § 839 BGB scheiden jedenfalls aus, weil ein Verschulden bei der Rechtsanwendung durch die Finanzbehörden nicht feststellbar ist.
Nach der Rechtsprechung des BGH ist jeder Inhaber eines öffentlichen Amtes bei der Gesetzesauslegung und Rechtsanwendung verpflichtet, die Gesetzes- und Rechtslage unter Zuhilfenahme der ihm zu Gebote stehenden Hilfsmittel sorgfältig und gewissenhaft zu prüfen und danach aufgrund vernünftiger Überlegungen sich eine Rechtsmeinung zu bilden. Dabei begründet nicht jeder objektive Rechtsirrtum einen Schuldvorwurf. Wenn die nach sorgfältiger Prüfung gewonnene Rechtsansicht d...