Sachverhalt
Bei der Klage der EU-Kommission ging es (wie bei der vergleichbaren Klage gegen Finnland = Rs. C-74/11) um die Voraussetzungen der umsatzsteuerlichen Organschaft. Die Kommission warf Schweden einen Verstoß gegen Art. 11 MwStSystRL vor, weil das schwedische Recht das Institut der Organschaft auf den Finanz- und Versicherungsdienstleistungssektor beschränkt. In Schweden können nur Kreditinstitute, Investmentgesellschaften, Versicherungsgesellschaften, Unternehmen, die eine steuerbefreite Finanztätigkeit ausübten, und Unternehmen, die hauptsächlich Lieferungen an oder Dienstleistungen für Finanzunternehmen erbrächten, eine Organschaft bilden.
Die Kommission war der Auffassung, eine nationale Regelung für Mehrwertsteuergruppen müsse auf alle Unternehmen anwendbar sein, die ihren Sitz in dem Mitgliedstaat haben, der die Organschaftsregelung in Art. 11 MwStSystRL anwendet, unabhängig davon, welcher Art von Tätigkeit das Unternehmen nachgeht. Das gemeinsame Mehrwertsteuersystem sei ein einheitliches System. Die Einführung einer Sonderregelung in dieses System müsse daher grundsätzlich so erfolgen, dass die Regelung allgemein gelte.
Im Wortlaut von Art. 11 MwStSystRL deute nichts darauf hin, dass ein Mitgliedstaat die Anwendbarkeit einer Regelung für Mehrwertsteuergruppen auf bestimmte Unternehmen beschränken dürfe, die in einem bestimmten Sektor tätig seien. Auch der mit Art. 11 MwStSystRL verfolgte Zweck spreche dafür, die Bestimmung dahin auszulegen, dass sie für Unternehmen aller Sektoren gelte. Außerdem verstoße die schwedische Regelung gegen den unionsrechtlichen Grundsatz der Gleichbehandlung.
Schweden hatte u.a. geltend gemacht, dass die Beschränkung der Organschaft auf Unternehmen, die der Finanzaufsicht unterliegen, der Verhinderung von Steuerhinterziehung oder Steuerumgehung diene (vgl. Art. 11 Abs. 2 MwStSystRL).
Entscheidung
Der EuGH hat entschieden festgestellt, dass die Kommission einen Unionsrechtsverstoß nicht nachgewiesen hat, und die Vertragsverletzungsklage abgewiesen. Die Kommission habe nicht überzeugend nachgewiesen, dass die schwedische Regelung im Hinblick auf den Kampf gegen Steuerhinterziehung und Steuerumgehung nicht begründet wäre und ist damit nicht den Schlussanträgen des Generalanwalts Jääskinen v. 27.11.2012 gefolgt.
Art. 11 Abs. 1 MwStSystRL ist eine Kannbestimmung, wonach es den Mitgliedstaat gestattet ist, mehrere Personen zusammen als einen Steuerpflichtigen zu behandeln, wenn sie im Gebiet dieses Mitgliedstaats ansässig, und zwar rechtlich unabhängig, aber durch gegenseitige finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Beziehungen eng miteinander verbunden sind. Nach dem Urteil ist die Regelung nach ihrem Wortlaut nicht von weiteren Voraussetzungen abhängig. Insoweit bezieht der EuGH sich auf sein Urteil v. 9.4.2013, C-85/11 (Kommission/Irland). Nach der jetzigen Entscheidung sieht Art. 11 Abs. 1 MwStSystRL für die Mitgliedstaaten auch nicht die Möglichkeit vor, den Unternehmern weitere Bedingungen für die Bildung einer Organschaft aufzubürden, wie z.B. dass sie eine bestimmten Tätigkeit ausüben oder zu einer bestimmten Branche gehören müssen. Für eine solche restriktive Auslegung der Vorschrift sieht der EuGH keine Möglichkeit.
Allerdings haben die Mitgliedstaaten nach dem Urteil über Art. 11 Abs. 2 MwStSystRL, wonach Maßnahmen zur Verhinderung von Steuerhinterziehungen und Steuerumgehungen erlaubt sind, die Anwendung der Organschaftsregelung zu beschränken, wobei das Unionsrecht (d.h. wohl insbesondere das Neutralitätsprinzip) gewahrt werden muss.
Schweden hatte die Beschränkung der Organschaftsregelung damit begründet, dass sie zur Verhinderung von Steuerhinterziehungen und Steuerumgehungen nur Unternehmen offen stehen sollte, die unmittelbar oder mittelbar der Überwachung der Finanzaufsicht und somit einem Regelwerk öffentlicher Kontrolle unterlägen. Die Kommission hat nach dem Urteil aber nicht überzeugend nachgewiesen, dass eine solche Maßnahme im Hinblick auf den Kampf gegen Steuerhinterziehung und Steuerumgehung nicht begründet wäre.
Soweit die Kommission ihren Klageantrag mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz begründet hatte, war die Klage unzulässig, weil die Kommission im vorprozessualen Verfahren insoweit noch von einem Verstoß gegen den Neutralitätsgrundsatz ausgegangen war und daher eine unzulässige Erweiterung des Klageantrags im Vergleich zu der mit Gründen versehenen Stellungnahme vorlag.
Der EuGH stellt klar, dass im Neutralitätsgrundsatz der Grundsatz der Gleichbehandlung im Mehrwertsteuerbereich zum Ausdruck kommt, der es verbietet, dass vergleichbare Sachverhalte unterschiedlich behandelt werden, es sei denn, dass eine Differenzierung objektiv gerechtfertigt ist. Während ein Verstoß gegen den Neutralitätsgrundsatz nur zwischen konkurrierenden Unternehmern in Betracht kommt, kann ein Verstoß gegen den allgemeinen Grundsatz der Gleichbehandlung im Steuerbereich durch andere Arten der Diskriminierung gekennzeichnet sein, die Unternehmer betreffen, die nic...