Leitsatz
Ein Reserveoffiziersanwärter wird auch dann für einen Beruf ausgebildet, wenn nicht abzusehen ist, ob er einen Antrag auf Verlängerung der Dienstzeit oder die Übernahme als Berufssoldat stellen oder am Ende seiner Dienstzeit aus der Bundeswehr ausscheiden und sodann einen anderen Beruf ergreifen wird.
Normenkette
§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG
Sachverhalt
Der Kläger ist Vater eines 1991 geborenen Sohnes, der im Juni 2011 die allgemeine Hochschulreife erwarb und seit dem 1.7.2011 als Soldat auf Zeit bei der Bundeswehr zum Reserveoffizier ausgebildet wird.
Die Familienkasse hob die Festsetzung des Kindergeldes ab August 2011 gem. § 70 Abs. 2 EStG auf, weil die Ausbildung als Reserveoffiziersanwärter nicht als Berufsausbildung angesehen werden könne.
Die Klage blieb hinsichtlich der Monate August bis Dezember 2011 wegen Überschreitung des Grenzbetrages ohne Erfolg (§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG a.F.). Das Niedersächsische FG gab der Klage jedoch statt, soweit sie die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung für die Monate Januar und Februar 2012 betraf (Urteil vom 23.4.2013, 15 K 60/12, Haufe-Index 4057483, EFG 2013, 1141).
Entscheidung
Die Revision der Familienkasse war unbegründet. Dass der Sohn des Klägers sich noch nicht festgelegt hatte, ob er einen Antrag auf Verlängerung der Dienstzeit stellen oder nach drei Jahren als Reserveoffizier aus der Bundeswehr ausscheiden wollte, war unerheblich.
Hinweis
1. Für volljährige Kinder, die für einen Beruf ausgebildet werden, kann Kindergeld beansprucht werden. Unter einer Berufsausbildung i.S.v. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG hat der BFH in langjähriger Rechtsprechung die Erlangung der für die Ausübung des angestrebten Berufs geeigneten Grundlagen verstanden.
2. Infolge des Wegfalls der Grenzbetragsregelung werden jetzt auch Kinder in gut bezahlten Ausbildungsdienstverhältnissen berücksichtigt. Der BFH hatte bereits entschieden, dass die Ausbildung der Offiziersanwärter des Truppendienstes eine Berufsausbildung i.S.v. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG ist. Denkbar ist, dass ab 2012 auch für junge Wirtschaftsprüfungsassistenten oder Assistenzärzte Kindergeld beansprucht werden kann.
3. Reserveoffiziersanwärter, deren Ausbildung der der aktiven Offiziersanwärter des Truppendienstes ohne Studium entspricht, verpflichten sich für bis zu drei Jahre bei der Bundeswehr. Sie können danach zwar die Laufbahn wechseln und als Offiziere weiterdienen, scheiden aber regelmäßig mit Ablauf ihrer Dienstzeit aus. Weil der Sohn des Klägers als Reserveoffiziersanwärter den Offiziersberuf nicht anstrebe, versagte die Familienkasse die Berücksichtigung. Dem ist der BFH nicht gefolgt: Wer sich ernsthaft und nachhaltig Fähigkeiten aneignet, die sich als Grundlage für die Ausübung eines Berufs eignen, befindet sich vielmehr auch dann in Berufsausbildung, wenn er diesen Beruf später tatsächlich nicht ausüben will. Nimmt ein Kind an einem regulären, typischen Ausbildungsgang teil, so bedarf es keiner weiteren Prüfung, wie die dort erlangten Kenntnisse in Zukunft beruflich verwertet werden sollen. Dies gilt umso mehr, wenn die durch die Ausbildung vermittelten Kenntnisse, Fähigkeiten oder Abschlüsse bzw. Titel auch für andere Berufe nützlich sind, was für Reserveoffiziere z.B. wegen der erworbenen Führungsfähigkeiten oder durch die Anstellung bei einem für die Bundeswehr tätigen Unternehmen zutrifft.
4. Das Urteil lässt sich z.B. auf Abiturienten übertragen, die ein Studium anstreben, aber zuvor eine für den gewählten Studiengang nicht – wie Krankenpflege für Medizin oder eine Banklehre für Wirtschaftswissenschaften – unmittelbar förderliche Berufsausbildung absolvieren, und auf Hauptschüler, die "irgendeine" statt der "Wunsch-Ausbildung"absolvieren, weil eine abgeschlossene Lehre ihre Chancen auf einen andersartigen Arbeitsplatz erhöht. Zu berücksichtigen wären auch Kinder, die nur deshalb eine betriebliche Ausbildung oder ein Studium absolvieren, weil dies von einer andersartigen Tätigkeit oder Laufbahn vorausgesetzt wird, wie z.B. eine abgeschlossene handwerkliche Berufsausbildung für die Aufnahme von Hauptschulabsolventen in den mittleren Dienst der Berufsfeuerwehr.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 8.5.2014 – III R 41/13